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Ich über mich | Olympia 1972 |
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April: „Nein, Oma, das musst du essen“, sagte Waltraut standhaft, aber auf ihrem ehrlichen Gesicht stand deutlich das Verlangen. „Du kannst wirklich etwas von mir haben. Ich habe genug“, behauptete Mutter. „Oma, ich kenn dich doch!“, meinte Waltraut altklug. Aber schließlich ließ sie sich dann doch überreden. Waltraut spricht jetzt ein Tischgebet, das Vater vor Jahren für die Essener Kinder verfasst hat. Sie spricht es mit so viel Sammlung und Ausdruck, dass Vater wohl seine helle Freude an ihr hätte, wenn er sie so sehen könnte. +++++++++++++ Detlev
hat kürzlich Gundel auf eigene Faust spazieren geführt. Sie
gingen auf der Reichsstraße
gegen Volders hin: Detlev ging behutsam ganz am Rand und fühlte
sich restlos
als der große und beschützende Bruder mit der kleinen Gundi
an der Hand. Es war
ein herziges Bild, das Mutter Bauer beobachtete, gleichwohl musste man
ihm
solche Unternehmungen untersagen. +++++++++++++
An meinem Geburtstag wurde Mutters und mein
Geburtstag zugleich gefeiert. Da hat sich Helga eine wunderschöne
Überraschung
ausgedacht: Die drei Kinder kamen als Märchengestalten verkleidet
und brachten
ihre Gaben. Waltraut trug ein langes weißes Kleid, ihr
aufgelöstes Haar war
durch ein blaues Band zusammengehalten. In den Händen hielt sie
eine Schale mit
Zucker. Lieb und anmutig wie Schneewittchen, gesammelt und ganz ihrer
Aufgabe
hingegeben, trat sie vor und sprach ihre Verse sehr ausdrucksvoll: „Weit
komm ich her dort von den sieben Bergen
Und bringe Grüße auch von meinen sieben Zwergen. Sie haben mir ganz wichtig aufgetragen, auch ihre besten Wünsche heut’ zu sagen. Sie haben tief geschürft in Fels und Stein, um euch zu schenken Gold und Edelstein, Und plötzlich fanden sie zu ihrer Freud Den Diamanten unsrer heut’gen Zeit. Den bring ich euch nun voller Liebe dar und wünsche euch noch viele schöne Jahr’!“
„Jetzt
komm ich!“ sagte Detlev keck. Er hatte ein kurzes Höschen mit
Hosenträgern und
ein Hemd an und hatte ein schneidiges Hütchen auf. Seine Augen
blitzten
unternehmend und frisch und so war er ein bildhübscher Hans im
Glück, der ein Säckel
auf dem Rücken trug. Er sprach: „Ich bin
gewandert viele, viele Meilen
und nirgends konnt ich lange Zeit verweilen Mein Klumpen Gold, die Kuh und auch das Pferd und alles andre war mir nicht so wert, dass ich es nicht hab freudig lassen stehn, um euch an eurem Festtag noch zu sehn und euch zu wünschen, dass ihr auf der Erden wie ich ein Hans im Glück mögt werden.“
Damit lud er schwungvoll seinen Sack auf den
Geburtstagstisch, dass das Mehl herausstäubte.
Gundel saß inzwischen auf dem Stuhl, schaute
im Zimmer herum und baumelte mit den Beinen Ihr rotes Käppchen,
das Körbchen
in der Hand und der mächtige Blumenstrauß ließen gar
keinen Zweifel an ihrer
Person aufkommen. Sie war gar nicht recht bei der Sache und sagte ihr
Verslein
nur so nebenbei: „Vom grünen Walde komm ich her,
ach Gott, was bin ich gelaufen sehr, um diesen schönen Frühlingsblumenstrauß zu bringen hierher ins Geburtstagshaus. Doch schließt nur schnell die Tür, ihr Lieben mein, und lasst mir nicht den bösen Wolf herein.“
Später, bei holderer Stimmung, trug sie ihr
Sprüchlein noch einmal vor und zog dabei alle Register ihrer
Schauspielkunst.
Bei der letzten Zeile hob sie drohend den Finger und hob die Spannung
durch
eindrucksvolle Kunstpausen bis zum Höhepunkt.
Nachdem die Kinder Kakau und Kuchen gehabt
hatten, zogen sie fröhlich in den Garten. Heinzel beanspruchte
seine geliebte
Gundel ganz für sich, was sie sich huldvoll gefallen ließ
Als gegen Abend Lili,
des Küsters Tochter, Gundi an der Hand nahm und hinaufbrachte,
fing der
stürmische Liebhaber zu toben an: „Du
hast mir meine Gundi weggenommen! Das ist meine Gundi!“ Dazu schrie er
so
ungebärdig, dass er von seinem Vater eins drauf bekam. Und sie ist ihm auch treu! Einige Tage später war sie mit Mutter Bauer in Hall beim Einkaufen. Dort trafen sie mit einer Bekannten zusammen, die ein kleines Bübchen bei sich hatte. Das Kind fing so fort heftig an, Gundel zu umwerben, die aber spröde vor ihm zurückwich. Nichts als Abwehr stand in ihren großen Augen. Nun wollte er die Spröde mit Geschenken gewinnen und kramte kleine Steinchen aus seiner Tasche hervor, die sie wohl annahm, aber trotzdem aus ihrer Zurückhaltung nicht herausging. „Gundula“, sagte Mutter Bauer erklärend zu der Bekannten, „Gundula ist nämlich verlobt.“ „Ach so“, meinte die Dame darauf, „das ist dann allerdings etwas anderes.“ 2o. April: Da stand sie schon erwartungsvoll mit Helga an der Haltestelle, „Jetzt ist Waltraut aber enttäuscht, dass sie nicht allein fahren kann“, meinte Helga. Ich erklärte sofort, dass ich ja keinesfalls wegen Waltraut gekommen sei. Und dann stiegen wir ein. Waltraut schlüpfte schnell vor mir in den Wagen und setzte sich schnell auf einen leeren Sitz. Ich verstand ihre Absicht, ging an ihr vorbei und setzte mich ganz woanders hin. Als der Schaffner kam, löste sie ihre Fahrkarte selbstständig wie eine Große und wir fuhren wie zwei Fremde, völlig getrennt. Erst beim Aussteigen trafen wir uns an der Tür. Doch da griff sie gern nach meiner Hand. Mittlerweile ist dieser Selbstständigkeitsrausch schon wieder ein wenig verflogen... +++++++++++++ |