"Lass uns auf die Reise gehen"
Bernd
Witthüser:
"Lass uns auf die Reise gehen"
Ein Wiederhören mit Folklegende Bernd Witthüser, der zwischen 1969 und 1972 zusammen mit seinem Partner Westrupp neue deutsche Lieder schrieb, wie sie bis dato unerhört waren. Ihre legendären Platten wie "Trips und Träume" (1970) oder "Bauer Plath" (1972) ebneten Leuten wie Udo Lindenberg bis zu den Toten Hosen den Weg.
Über 30 Jahre mussten vergehen, bis eine deutsche Folk-Legende wieder mit ihren Songs, den neuen und alten, auf Tournee geht. Das Comeback eines Vampirs fällt einem dazu spontan ein. Bernd Witthueser und Walter Westrupp schlossen sich im Juni 1969 zusammen und gründeten das W&W "Pop"-Cabaret. Ihre 1. LP. "Lieder von "Nonnen, Toten und Vampiren" auf dem damals neu gegründeten Ohr-Label. Das dazugehörige Programm war makaber-lustig (sog. schwarzer Humor) mit Texten von Novalis, Heine, Baltus Brösel, Thomas Rother sowie eigenen Texten und eigener Musik, dargebracht mit diversesten akustischen Instrumenten. Für ihr zweites Werk "Trips und Träume", herrliche Reiseberichte, wurde Dieter Dierks am Mischpult gewonnen, und als Produzent agierte der Krautrock- Visionär Rolf-Ulrich Kaiser, unterstützt von Gille Lettmann. Das gleichnamige Programm "T&T" war gespickt mit indischen Märchen und Geschichten von gemeinsamen Trips und Wanderungen durch wundersame Landschaften und wandte sich an "positiv" Ausgeflippte und Raucher. "Der Jesuspilz - Musik vom Evangelium", ihr 3. Album, bescherte ihnen Auftritte in mehr als 100 Kirchen und im Fernsehen. Witthüser & Westrupp erweiterten ihr Instrumentarium um eine Reihe zusätzlicher Instrumente wie: Kazoo, Triangel, Maultrommel, Rumba-Rasseln, Psalter und Kastagnetten. "W und W" gehörten zu den liebenswertesten und originellsten Erscheinungen der bundesdeutschen Pop-Szene. So wie sie waren - etwas versponnen, verträumt, in sich gekehrt -, passten sie in keine Show-Schablone. Bei ihnen stand der Spaß an der eigenen Musik und nicht das Geldverdienen an erster Stelle. Deshalb waren sie auch über den Tournee- und Fernseherfolg ihrer Jesus-Oper nicht einmal besonders glücklich. "Wir hatten keine ruhige Minute mehr" berichteten die gebürtigen Essener, "sobald wir über die Straße gingen, wurden wir von irgendjemand doof angequatscht". Kein Zweifel irgendwie waren W&W Stars geworden, hatten ständige Gastspiele in Berlins Liedermacherkneipen zusammen mit Hannes Wader, Schobert & Black, Insterburg, Ulrich Roski und Reinhard Mey. Es häuften sich die Fernsehauftritte und eine permanente Radiopräsenz in den Hitparaden des SWF & WDR zeugten davon.
Die Zusammenarbeit bei Produktionen mit Ashra Temple, Klaus Schulze, Tangerine Dream, Hölderlin, Bröselmaschine, Emtidi, Wallenstein, Walter Wegmüller und Sergius Golowin verdeutlichen den Stellenwert der W&W damals erreicht hatte. Das war auch der Grund warum Witthüser & Westrupp in der Abgeschiedenheit des kleinen Hunsrückdorfes Dill bei Simmern das Material für ihre 4.LP, die sie ihrem Hausvermieter "Bauer Plath" widmeten, erarbeitete. Das gleichnamige Programm basierte auf deutschen und indischen Märchen, die größten Inspirationen erfuhren W&W durch Tolkiens "Herr der Ringe" und Castanedas Reiseberichte. Auch auf der Lp "Bauer Plath" liest sich die Gästeliste wie das "Who is Who" der damaligen "neuen deutschsprachigen" Musik, der sich die Labels Ohr, Pilz und Kosmische Kuriere verschrieben hatten.
Das alles war 1973 zu
Ende, Witthüser ging nach Berlin und anschließend
nach
Italien und trat seitdem mit einem Geiger als
Straßenmusikerduo
"Otto und Bernelli" in ganz Europa auf. Anfang der achziger Jahre
avancierten ihre alten Lp's unter Poppern plötzlich zu
Kultplatten, für die in Second-Hand-Läden bis zu 100
DM
bezahlt wurden. Bernd Witthüser, inzwischen 62, hat, nach
einem
langen Trip als one man band "bernelli", seine alte Gitarre wieder
rausgeholt und macht da weiter, wo er seinerzeit aufgehört
hat. So
spielt er den Prolog aus dem "Faust", macht aus Shakespears
Zaubersprüchen eine dämonische Moritat und singt das
Beste
von Witthüser & Westrupp.
Am 4.
August 2017 ist Bernd Witthüser in seiner Wahlheimat Grosseto
(Toscana) gestorben. Er sei,
sagen seine Freunde, friedlich eingeschlafen.