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Ich über mich | Olympia 1972 |
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27. April: Dabei geriet sie mit Detlev in Streit, ob es wirklich heiße „uns braven Kindern“, denn sie fühlte wohl selber, dass es mit dem Bravsein in der letzten Zeit nicht so weit her gewesen war und dass man die Freigebigkeit des Osterhasen nicht unnötig einschränken sollte – Osterhasen wie Weihnachtsmänner oder Christkinder zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie beim Schenken nicht so genau hinschauen, ob der Beschenkte sein Geschenk auch verdient hat. (Darum hat der Gesetzgeber ja auch mit Recht formuliert, was jeder Jurastudent im ersten Semester lernt: „Weihnachtsmann im Sinne des Gesetzes ist auch der Osterhase.“) Schon der Nikolaus hatte Waltraut zu ihrer Verwunderung ja etwas gebracht, obwohl sie vorher bockig gewesen war. Nun, die Sache mit dem richtigen Wortlaut des Liedes ist nicht entschieden worden, aber in der Stunde der Entscheidung zeigte sich, dass der Osterhase offenbar über ein sehr ausgedehntes Gemüt verfügt. Waltraut hatte zur Sicherheit tags zuvor noch ein Nestchen aus Gräsern angefertigt, um es dem Osterhasen so leicht wie möglich zu machen. „Weißt du, ich glaube aber nicht, dass der Osterhase die Eier da hineinlegt. Das wäre ja zu leicht“, meinte sie bedenklich.
Noch
ehe Helga die Geschenke im Garten versteckt hatte, lief Waltraut schon
suchend
herum und ich konnte sie nur mit Mühe überreden, hinaufzukommen und in Omas
Zimmer abzuwarten, bis der Osterhase da gewesen sei.
Schließlich
kam Helga dann aber herauf und sagte den Kindern, sie habe eben den
Osterhasen
fortlaufen gesehen. Da ging es natürlich jetzt ans Suchen – nur
Gundel verstand
die Sache noch nicht und wollte gar nicht einsehen, dass sie da etwas
zu tun
habe. Als man ihr aber zwei bunte Eier in die Hand drückte, war
sie hoch
zufrieden damit und wollte sie nicht mehr loslassen. Und als dann auch
noch ein
Schubkarren für sie zum Vorschein kam, zog sie glücklich
damit ab. Leider
gefiel ihr nachher Detlevs Leiterwägelchen erheblich besser und da
gab es dann
gleich einen Konflikt, denn Detlev wollte sein neues Spielzeug
natürlich auch
nicht hergeben. Waltraut brachte ihre Puppe vorsichtshalber in
Sicherheit, ehe
der Streit ausartete.
Während dieser Zeit ging ein junger
französischer Soldat im Garten auf und ab. Er war als Wache mit
den deutschen
Kriegsgefangenen mitgekommen und wartete nun das Ende des
Gottesdienstes ab. Er
nahm Gundula den neuen Ball aus dem Schubkarren und versteckte ihn in
der Hand.
Gundel war so entsetzt über diese fremdartige bewaffnete
Erscheinung, dass sie
nicht einmal zu schreien wagte. Wir riefen ihr alle zu, sie solle
schön „bitte,
bitte“ sagen, was sie dann auch tat. Als das aber nichts nützte,
ging Waltraut
beherzt auf den Soldaten zu, um ihm den Ball wegzunehmen. Aber im
letzten Augenblick
verließ auch sie der Mut und sie wagte es nicht, den Ball aus der
fremden Hand
zu lösen. Als Gundel nun noch einmal „bitte, bitte!“ gesagt
hatte, bekam sie
endlich den Ball. „Du jetzt mit mir kommen!“, sagte er in schlechtem Deutsch. Unser sonst so keckes Gundelchen zog sich langsam zurück. „Nein“, und ihre großen Augen waren ganz Abwehr. „Mutti gehen“. Bei uns fühlte sie sich dann sicherer. Aber es war ihr erst wohl, als der Soldat ganz verschwand. 22.
April:
Waltraut hat sich gestern beim Osterausflug erkältet
und hustet heute unaufhörlich. Darum soll sie ins Bett und einen
Wickel
bekommen. Da sie gerade zu ihrer Freundin Marina wollte, ist sie
unglücklich
und heult, heult ununterbrochen. Da kommt Marina und ist sehr
betroffen über
diese heulende Erscheinung. „Was willst du einmal werden“ fragt Mutter Waltraut beim Essen. „Eine Mutti“, antwortet sie prompt. - Ja, aber wenn du am Ende keinen Mann bekommst? - O doch‚ den Herbert bekomme ich auf jeden Fall und den Heinzel auch, Frau Sauer hat schon gesagt, ich kann den Heinzel haben! - Aber darauf täte ich mich doch nicht allzu fest verlassen! Wer weiß, bis Heinzel groß ist, gefällt ihm eine andere Frau besser und dich lässt er stehen, z. B. die Gundel oder die Marina.“ - Die Marina kann der Heinzel ja nicht nehmen! Sie ist ja gar keine Deutsche!“, sagt Waltraut da energisch, fast ein bisschen verächtlich, obwohl sie ihre persische Freundin sonst sehr gern hat. Außerdem spricht Marina ein vorbildliches Deutsch. Woher Waltraut das hat, ist uns unerklärlich. |