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Ich über mich | Olympia 1972 |
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Texte |
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29.
März: Wenn man zu Gundel sagt:“ Nun, du
kleine
Rübe“, sagt sie energisch: „Bin keine Whübe -
gelbe Whübe“ fügt sie dann hinzu. Vor nahezu einem halben Jahr brachte Mutter Bauer den Kindern ein kleines französisches Verslein bei, in dem die Aufforderung fermez la porte vorkommt. Die Kinder machten aber keinen Gebrauch davon. Heute fiel Detlev diese Redensart wieder ein, als er die Tür zumachen sollte. „Ja, Detlev, kannst du das noch?“, fragte ihn Mutter Bauer, die sich über sein gutes Gedächtnis wunderte. Detlev sagte das ganze Verslein auf. «Qu’est-ce
que c’est – was ist das?
«L’encrier - das Tintenfass. Le b½uf – der Ochs, la vache – die Kuh, fermez la porte – die Tür macht zu!» „Die Kinder lernen halt leicht,“ meinte Vater Bauer. „Ja, aber Englisch kann ich noch nicht!“, meinte da der kleine Sprachgelehrte. ************************************
Allen modernen ganzheitlich
einsprachigen
globalstrukturalistischen antimuttersprachlichen Lerntheorien zum
Trotz: Diesen
Vers habe ich bis heute behalten, weiß immer noch, was das Tintenfass
auf
Französisch heißt, auch wenn dieses Wissen ein wenig nutzlos scheint,
weil die
Einsatzmöglichkeiten von Tintenfässern inzwischen dank Kugelschreibern,
Patronenfüllern und PCs doch stark eingeschränkt wurden. Auch
erscheinen nicht
mehr hinreichend oft leibhaftige Teufel, nach denen man mit dem
Tintenfass
werfen könnte, und selbst wenn sie erschienen, hätten sie wohl eher
einen
Angriff mit einer Gaspistole, einem Pfeffersprüher, einem 20.000-Volt-
Elektrostab oder anderen nützlichen Geräten zu befürchten, die uns die
Sicherheitsindustrie dankenswerter Weise zur Verfügung stellt – aber
dennoch:
«L’encrier» gehört seit jenen frühen Kindertagen zu meinem
unauslöschlichen
Sprachbesitz – und sowohl «le b½uf» als auch «la vache» sind ja nun
durchaus
Vokabeln, mit denen man durchs Leben kommt. An «fermez la porte» sollte
man aus
Gründen der Höflichkeit allerdings doch ein freundliches „s’il vous
plaît“
anfügen – das gehört sich einfach… ************************************
30.
März: Gesten waren die Kinder mit mir fort, um für die Oma Geburtstagsblumen zu holen. Das war eine Freude bei allen Dreien! Detlev kletterte ganz unbedenklich die steilen Hänge hinauf und rutschte kühn auf dem Hosenboden herunter, Waltraut glühte vor Eifer und auch Gundelchen trug ihr Teil dazu bei. „Bei den Leberblümchen muss man aufpassen, weil sie so zart sind,“ meinte Waltraut, wobei sie den für Kinder ungewöhnlichen Ausdruck ganz natürlich anwendete. Größte Schwierigkeiten macht den so überaus aufrichtigen Kindern das Geheim halten der Überraschung. Als Mutter in der Frühe zu Waltraut sagte: „Du gehst ja nach dem Frühstück gleich in den Garten“, erwiderte Waltraut prompt: „Nein, ich gehe heute nicht in den Garten - wir gehen ja Blumen holen!“ Dann war es ihr aber sehr peinlich, dass ihr das so rasch entschlüpft war und sie schaute ganz verlegen weg. „Aber“, beruhigte sie sich nachher, ich habe ja nichts gesagt, dass die Blumen für die Oma sein sollen! ************************************
Ich muss es zugeben: Geheimnisse für
mich zu behalten, ist
mir mein ganzes
Leben lang schwer gefallen und nicht immer habe ich vorher bedacht, was
ich so
alles gesagt habe und zu wem. Spätere Versuche der Schadensbegrenzung,
wie sie
Politikern geläufig sind („Das habe ich nicht so gesagt“ oder „Das habe
ich
nicht so gemeint“ oder „Das kann ich nicht gesagt haben“ oder „Das ist
ganz aus
dem Zusammenhang gerissen“ oder – besonders unglaubwürdig – „Das war
doch nicht
ernst gemeint“), haben sich meistens als untauglich erwiesen. Im besten
Fall
war es für mich peinlich, im schlimmsten hatte es katastrophale
finanzielle
Auswirkungen wie an jedem denkwürdigen Tag, als wir zum ersten Mal den
Vater in
seinem Gefangenenlager in Bayern besuchen durften. Im Frühjahr 1946 war
das.
Wir standen alle am Bahnhof und meine Mutter war im Begriff die
Fahrkarten nach
Kufstein zu erwerben – dort sollten wir die Möglichkeit haben, uns mit
dem Vater
zu treffen. So eine Fahrt kostete viel Geld und darum hieß es, alle nur
möglichen Ermäßigungen zu nutzen. Da nun für mich offenbar keine
Fahrkarte
gekauft wurde, fragte der Bahnbeamte vorsichtig nach, wie alt ich denn
wohl
sei. Nun muss man wissen, dass Kinder unter vier Jahren damals
kostenlos
reisten und deshalb gab meine Mutter mein Alter völlig skrupellos mit
„Der ist
drei!“ an, was angesichts meiner wenig bedeutenden Körpergröße und
meines eher
schmächtigen Körperbaus absolut glaubwürdig gewesen wäre. Aber da
empörte sich mein Stolz.
Ich, drei Jahre? Ein Baby etwa noch? Energisch wandte ich mich an den
Staatsdiener: „Nein, viereinhalb!“Meine Mutter versank augenblicklich im Boden, musste aber wieder auftauchen, weil der Bahnmensch nun – zu Recht, aber trotzdem höchst unwillkommen – darauf bestand, dass für mich eine Fahrkarte gelöst wurde – zum halben Preis, gewiss, aber eben doch für unsere damaligen finanziellen Verhältnisse viel zu teuer. Die Fahrkarte wurde also erworben, und das Kind konnte für seine Ehrlichkeit ja kaum gescholten werden. Ehrlich fährt am längsten – wir traten die Fahrt also an, bewaffnet mit einer ganzen und zwei halben Fahrkarten mit kleinen Löchern, die der Schaffner hineingeknipst hatte, und einem noch größeren Loch in der mütterlichen Geldbörse. ************************************
Als wir mit unsern Schätzen nach Hause kamen, musste Waltraut beim Ordnen dabei sein und sie meinte dann: „Ich bleibe jetzt bei den Blumen bis morgen sitzen.“ Nun kamen Waltraut und Detlev überein, dass man der Oma sagen müsse, dass sie jetzt nicht in dieses Zimmer darf, doch dann kamen ihnen Bedenken: „Die Oma wird fragen, warum sie nicht herein darf.“ Ich beruhigte sie, dass die Oma sicher nicht fragen werde, weil es vor dem Geburtstag immer Geheimnisse gebe. Detlev lief davon, um sein Vorhaben auszuführen. Später wurde ich mit schweren Vorwürfen empfangen: „Die Oma hat ja doch gefragt! Aber,“ fügte er stolz hinzu, „ich habe ihr nichts von den Blumen gesagt! Ich habe gesagt: Überraschung!“ |