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 17. März:

     Gundel ist nach ihrem Asthmaanfall wieder ganz in Form. Mit ihren gedrechselten Zöpfchen, im Dirndlkleid, mit den knall­roten Wangen und den lebhaften Augen, die vor lauter Unternehmungslust leuchten, schaut sie aus wie ein allerliebstes Bauerntrutschele. Sie ist wirklich sehr unternehmend und schreitet von einer Schandtat zur anderen. So war der Opa dabei, den traditionellen " Schwarzen“ zum Sonntag zu brauen. Er füllte den Kaffee aus der Dose in die Mühle und als er gemahlen war, tat er ihn in den bereitstehenden Filter. Der Filter stand schon gebrauchsfertig da und der Opa brauchte nur noch das Filtrierpapier über das Sieb zu legen und dann fing er an, den Kaffee aufzubrühen. Als er die Kaffeedose wegräumen wollte, fehlte der Deckel. Wo kann der nur hingekommen sein? Der Opa hatte gerade vorher damit han­tiert - es kann ihn ja niemand weggetragen haben. Gundula?? Aber sie macht ihr unschuldigstes Gesicht und weiß nichts von einem Deckel. Rätselhaft - und der Kaffee will auch nicht durchlaufen durch den Filter. Sollte dort der Deckel - - - ? Nun muss der kostbare Kaffee umgeladen und der Filter untersucht werden. Richtig, unter dem Sieb,  kunstvoll hineinpraktiziert, liegt der Deckel, das Sieb sorgfältig darüber gelegt, Aber Gundel in­teressiert das Unheil gar nicht, das sie da angerichtet hat. Sie ist gerade dabei, im Badezimmer neues Unheil zu stiften. Gerade vorhin fand Mutter Bauer in der Teekanne einen Schlüssel. Das vollbringt sie alles im Handumdrehen

18. März:

     Helga war mit den Kindern spazieren. Unterwegs setzte sie sich einmal auf eine Bank, um Gundel die Zöpfe zu richten. Es saß ein Mann auf der Bank und Detlev biederte sich mit ihm an. Da frag­te ihn der Unbekannte, wie er denn heiße.  Ich heiße Deti   Detlev Mahnert“, dann zeigte er auf Waltraut, die am Hang Blumen pflückte, „und die heißt Waltraut und die Gundula und die da“damit zeigte er auf Helga, „ist die Frau Mahnert.“ Es fehlte nur noch, dass er die näheren Daten seines Vaters angab. Er erzählte dann noch, wie alt sie alle seien.

 19. März:

     Waltraut hatte neulich einen schlechten Traum, sie wurde weinend wach und verlangte zur Mutti ins Bett und beruhigte sich  erst, als sie tatsächlich von Helga ins Bett genommen wurde. Am nächsten ­Tag wollte sie den Traum nicht erzählen, nach einigem Zureden erzählte sie ihn Mutter doch: ein schrecklich großer Käfer mit langen Krallen sei da gewesen, und obwohl eine Frau auf ihm herumtrat, habe er doch immer wieder seine Krallen nach ihr ausgestreckt. Da hat sich Waltraut sehr gefürchtet.

     Heute Nacht hat Waltraut geträumt, der Opa Lütte sei gekommen.
   „Ich habe es nicht gewusst, dass er es ist, wie ich ihn von weitem gesehen habe. Aber die Mutti hat es gesagt. Ich habe ihn nicht gekannt. Er ist wie ein Soldat gekommen und da habe ich auch gewusst, dass es der Opa Lütte ist - ja, und dann haben wir ausziehen müssen!“
“Ja, warum denn?“
Ich weiß nicht. Wahrscheinlich war kein Platz mehr für uns.“
So schleicht sich das Gefühl der Heimatlosigkeit bis in die Kinderträume.

 
20. März:

     Gundel kann schon recht nett allein essen.  Beim Frühstück löffelt sie gewaltig die eingebrockte Semmel aus dem Kaffee und lässt sich dabei durch nichts beirren. Wenn sie mit der ersten Rate fertig ist, ruft sie mit singender Stimme:
     „Nooooch bissi!“

 
22. März

     Die Kinder sind gestern fotografiert worden und zwar kam die Fotografin zu uns. Gundel war von geradezu drolligem Ernst, nur Waltraut konnte ihr einmal ein kleines Lächeln abgewinnen. Waltraut war etwas aufgeregt. Sie machte sich wichtig und redete und lach­te viel. Sie war so zutraulich, dass man ihr Benehmen schon dreist nen­nen konnte.
     Am gelungensten war Detlev. In dem Augenblick, wo er sich be­obachtet fühlte, nahm er eine stocksteife Haltung ein. Er wagte es kaum, mit den Augen zu blinzeln, in der denkbar unnatürlichsten Haltung leg­te er die Hand aufs Knie und war nur durch allerlei Künste zu einem ganz  kleinen Lächeln zu bewegen.

23. März

     Gestern hat Waltraut wohl den bisher größten Schmerz erfahren: als nach der Turnstunde Helga noch nicht da war, um sie abzuholen, glaubte sie, dass die Mutti nicht mehr kommen würde und machte sich allein auf den Weg. Aber sie kam nicht weit. An der nächsten Ecke blieb sie ratlos stehen. Helga, die sie inzwischen überall gesucht hatte, ging eilends nach Hause in der Hoffnung, eine andere Mutter habe Waltraut nach Hause gebracht. Waltraut muss nahezu eine halbe Stunde da gestan­den haben. Eine Frau, die sie weinen sah und sich nach allem Näheren erkundigte, brachte Waltraut zur Gymnastiklehrerin zurück und gab uns von Waltrauts Verbleib telefonisch Nachricht. Ich machte mich sofort auf den Weg, um Waltraut zu holen. Ich fand sie bitterlich weinend im Turn­saal sitzen, sie zeigte nicht die geringste Freude, als sie mich sah. Als ich ihr die Tränen abwischte, hörte sie wenigstens auf zu weinen, dann ging sie, noch ganz benommen von ihrem Schmerz, still an meiner Hand und gab mir auf meine Fragen keine Antwort. Erst bei einem Schau­fenster mit Kinderspielsachen taute sie auf. Als wir nach Hause kamen, nahm Helga ihr großes und doch noch so kleines Mädel auf den Arm. Waltraut schmiegte ihren Kopf an sie und sagte immer nur: „Du, du, du...“

Später erzählte sie dann ihre Erlebnisse. Bald war sie wieder vergnügt und lustig, und später sang sie sich selber in Schlaf.

     Gundel wird indes täglich unnützer. Man kann sie kaum noch aus den Augen lassen. Manchmal liebt sie esverschiedene Gegen­stände in den Ofen zu werfen. Aber ebenso gern räumt sie den Ofen aus. Mutter erwischte sie heute gerade dabei, wie sie ein paar Kartoffeln unter dem Sofakissen verstauen wollte. So schreitet sie von einem Unfug zum andern.

     Jetzt ist es wieder so warm, dass die Kinder den ganzen Tag im Garten spielen können. Auf Gundel muss man furchtbar aufpassen, sonst ist sie im Handumdrehen davon. Waltraut, die wilde Hummel ist in ihrem Element. Sie ist den ganzen Tag unsichtbar und erscheint dann in völlig aufgelöstem Zustand: Die Strümpfe sind heruntergerutscht und haben Löcher, die Haarmasche ist verloren und die Haare hängen ihr wild ins Gesicht, das Schürzenband ist offen, Gesicht und Hände sind schmutzig, aber Waltraut ist selig.

     Die Kinder schauen gleich viel besser aus. Die Wangen glühen und die Augen leuchten vor Unternehmungslust.

26. März

     Detlev kam heute ganz aufgeregt aus dem Garten: “Tante Inge, es blühen schon viele Gänseblümchen - und auch gelbe Blumen!“
Was für gelbe? Große?“
„Nein, nicht große
-  gelbe!“

     Er brachte dann so ein winziges, kaum erblühtes Primelstengelchen herauf. Und dann gab es bittere Tränen, als ihm die Oma verbot, diese kleinen Blamen abzupflücken.

    Das Neueste bei Gundel ist, dass sie in den allerhöchsten Tönen quietscht, wenn sie etwas haben will. Wenn man sie dann streng anschaut, nimmt sie sich gleich zusammen und sagt manierlich:“ „Bitte, Tante Inge, Wassi will i.“