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Ich über mich Olympia 1972
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13. März:
 
     Waltraut geht mit mir in die Stadt. Sie weiß mir gerade nichts zu erzählen. Ich lausche auf ihre trippelnden Schritte neben mir und fühle ihre Kinderhand in der mei­nen. So schweigen wir beide eine Weile. Doch da fängt sie mit einemmal an: „Weißt Du, es wäre doch gut, wenn man keine Marken brauchte und kei­nen Kaufmann und sich einfach alles nehmen könnte, was man braucht.
 
     - Ja, so etwas gibt es nur im Schlaraffenland! Aber es würde schon genügen, wenn es keine Marken gibt und man alles kaufen kann, was man möchte, also natürlich nur, wenn man halt das Geld dafür hat.
     - Wenn es dann gar nichts mehr gibt, dann muss halt der Kaufmann etwas machen, nicht?  
     - Nein, der Kaufmann macht die Sachen nicht selber. Er muss sie auch erst kaufen.
     - Ja, aber ich meine, wenn gar nichts mehr da ist, dann muss der Kaufmann etwas machen. Da muss er Gutes nehmen und es mit Schlechtem vermischen und dann Zucker drauf -  das kann man doch machen!“
 
       Und Waltraut schaut ernsthaft zu mir auf. Dann redet sie noch halblaut vor sich hin, was ich aber nicht verstehen kann.
       So spiegeln sich in dem kleinen Köpfchen die Probleme der Weltwirt­schaft und füllen es mit schwerem Ernst.
Auf dem Rückweg hörten wir die Glocken der Kapuzinerkirche läuten.
„Hörst du?“, sagte Waltraut,  „die Glocken läuten: blau — weiß ­und grün.“
„Das sind ja Farben,“ meinte ich, „die kann man nicht hören, son­dern nur sehen!“
„Nein, die Glocken sagen so: blau — weiß — und grün.“
 
     Ich konnte aber nicht herausbekommen, ob ihr der Klang tatsächlich diese Farbenvorstellungen geweckt hatte oder ob sie den Rhythmus da­mit bezeichnen wollte.­
 
14. März
 
     Heute kam Hanna mit ihren drei Söhnen, die hier foto­grafiert werden sollten. Die Fotografin kam etwas verspätet, so dass die sechs Kinder noch etwas zusammen spielen konnten. Es bildeten sich sofort zwei Gruppen: Gundel lief ganz verzückt hinter Volker und Gunther her und griff jauchzend nach einem Bein von Guntherle, der auf dem Sofa lag und strampelte. Sie war ganz erfüllt von liebevoller Zärtlichkeit. In einer Anwandlung von Eifersucht schob Volker Gundel etwas derb zur Seite. Gundels Ausdruck war unbeschreiblich. In ihren großen Augen stand fassungslose Bestürzung darüber, dass ihre dargebrachte Herzlich­keit einfach beiseite geschoben wurde. Aber dann brach bald wieder die sonnige Freude durch. Später brachte sie bereitwillig und voll Eifer ihrem Besuch alle ihre Spielsachen.
 
     ­Inzwischen war Dieter mit Waltraut und Detlev zusammen.  Detlev hielt sich abseits, während Waltraut sich eifrig mit Dieter befasste. Sie hatte schon gehört, dass er so gut Autos und Eisenbahnen ausschneiden könne. So bekam er Papier und eine Schere hingelegt. Er stand da mit der überlegenen Ruhe des in allen Satteln festen Künstlers: „Also, ich schneide ein Auto aus,“  und nach einigem Überlegen: „ein Personenauto“, und dann fraß die Schere sich mit großer Sicherheit durch das Papier und schuf das Auto. Detlev war völlig sprachlos vor Bewunderung, aber Waltraut wollte den kleinen Künstler wohl ein wenig ärgern.
„Das ist ja gar kein Auto“, meinte sie. Dieter ließ sich nicht beirren.
- Jetzt kommen die Räder,“ und die Schere fuhr wieder durch das Papier.

- Das ist ja ein böser Mann!", rief da Waltraut.
      Dieter ärgerte sich ein wenig, blieb aber ruhig.
 „ Nein, das ist ein Auto.
 - Und jetzt schaut es wie eine Ente aus,  rief Waltraut ganz auf geregtda ist der Kopf - und da der Schwanz...“
- Das ist ein Auto,“ sagte Dieter zum dritten Mal, „und du bist eine blöde Kuh!“
Sprach’s,  schnitt noch das Fenster aus und fing an das Auto anzumalen.
 
     Waltraut blieb angesichts der massiven Beleidigung erstaunlich gelassen.
 
 „
Ja, Dieter, zeichnest du gar nicht erst auf, was du ausschneidest?“
 - Nein, ich schneide lieber gleich.
 -  Du, Dieter, das könnte ich nicht!“ Waltrauts Spott ist verstummt. Sie ist nur noch Bewunderung.
    
     Später, beim Fotografieren, durfte Waltraut zuschauen. Während Volker und Gunther fotografiert wurden, standen Dieter und Waltraut eng umschlangen daneben um zuzuschauen. Da sich die beiden anscheinend so gut ver­standen, blieben die üblichen herablassend-leutseligen Erwachsenenkommentare nicht lange aus: 
 „Dieter, du kannst ja die Waltraut einmal heiraten!

- Daran habe ich noch gar nicht gedacht,“ räumte Dieter da ein, schien den Vorschlag allerdings nicht weiter zu verfolgen…
 
16. März
    
Wir haben Helgas Geburtstag gefeiert, mit Bohnenkaffee und Guglhupf. Das Ehepaar Sauer war auch da, die Kinder spielten lieb und brav und so war es urgemütlich. Vielleicht ist in einem Jahr die Zu­kunft lichter. Helga hat, so wollen wir es hoffen, das schwerste Jahr hinter sich, das sie so tapfer überstanden hat.