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- 12-


      31. Dezember:

Gundula wird täglich putziger. Sie ist jetzt gar nicht mehr dick und wird auch in ihrem Wesen zart u. mädchenhaft. So fürchtet sie sich neuerdings auch vor dem Staubsauger, dem sie anfangs sehr beherzt gegenübertrat. Sie spricht schon viel und versucht dabei auch, mehrere zusammenhängende Worte zu sprechen. Jetzt ist das Spielzeug nicht mehr einfach "put", sondern “put gangen“.

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      Was also ist weiblich? Zart sein und vor dem Staubsauger Angst haben. Was würde wohl Alice sagen, wenn sie das läse?

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Heute früh wurde die Kleine von der Oma mit einem vollen Höschen ertappt. Auf ihre Vorhaltungen antwortete sie indes ungerührt mit “ Halleluja!“ So fromm sind deine Kinder jetzt! —

     Neujahrstag 1946: Detlev erkundigte sich gestern nach meinem Mann.

“ Wo ist er denn?“
“ Ich habe keinen.“
" Ist er fort?“
" Nein, ich habe überhaupt keinen!“

     Da fragte er ganz teilnehmend:“ Ist er schon gestorben?“ Es wollte ihm gar nicht eingehen, dass ich keinen Mann haben sollte.

     Alle drei sind sehr musikalisch, Waltraut und Detlev verfügen über einen recht ansehnlichen Liederschatz, dazu kennen sie noch eine ganze Anzahl von Melodien, aber auch Gundel gibt schon Tonfolgen von sich, die ein gutwilliger Mensch - und wer könnte diesem Kind gegenüber nicht gutwillig sein? - als Vorstufe des Gesangs identifizieren könnte. An einem Sonntagmorgen, als im Radio das Largo von Händel gespielt wurde, kam Waltraut, noch im Nachthemd, ganz verklärt herübergelaufen. Eben jetzt hat sie ein Wehgebrüll angestimmt, weil die Mutti ihnen kein Abenlied mehr vorsingt. Da wird halt die Tante Inge einspringen müssen.

2.  Januar:

     Heute kamen alle drei in feierlichem Zug aus der Veranda. Detlev, der bei allen Spielen der schöpferische Geist ist, erklärte:“ Wir sind die redlichen Hirten“ und fügte dann hinzu, “ hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor.“ Gundel wackelte getreulich mit. Am Puppenbettchen spielten sie dann Maria und Josef, wobei Waltraut aus einem unerklärlichen Grund unbedingt der Josef sein wollte.

3. Januar:

     Helga war mit den Kindern rodeln und hat dabei Folgendes beobachtet: Es waren auch französische Kinder da, von denen sich ein Bub besonders anmaßend benommen hat. Er wurde von einem hiesigen scharf aufs Korn genommen und dann bei passender Gelegenheit verbläut. Als ihm ein anderer sagte, es sei eine Französin in der Nähe, er solle aufpassen, meinte er patzig:“ Das ist mir gleich!“
Die Buben scheinen mehr Haltung zu haben als ihre Väter.

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      Aber vielleicht waren die Buben ja auch einfach ein bisschen naiv und wussten nicht so recht, in was für einer Situation man sich befindet, wenn man gerade einen Weltkrieg verloren hat? Natürlich steckt in der Forderung, auch in der Niederlage "Haltung" zu bewahren, der Glaube, auch der Feind werde sich an bestimmte Regeln halten - aber leider hat der Feind mitunter doch ganz andere Vorstellungen.... Freilich, die französischen Besatzer in Tirol waren keine Unmenschen und viele kamen Jahre später als Touristen in das Land wieder, das ihnen ans Herz gewachsen war.
 
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4. Januar

     Es ist interessant zu beobachten,was für verschiedene Entwicklungsstadien die Kinder durchmachen. So ist bei Waltraut z. B. der mütterliche Zug zur Zeit stark verwischt. Sie ist jungenhaft und tollt am liebsten herum, ohne dabei jedoch ihre Leichtigkeit und Anmut zu. verlieren. Ich nenne sie nur eine wilde Hummel“. Die schöne Weihnachtspuppe wird wohl geliebt von ihr und sogar zum Rodeln mitgenommen, findet aber doch nicht die sorgfältige Betreuung, wie wir es erwartet hatten.

     Waltraut ist beim Rodeln viel schneidiger als Detlev. Der hat zur Zeit besonders schwierige Entwicklungsstadien durchzumachen. Zeitweise ist er rettungslos raunzig und heult wegen der sinnlosesten Sachen. Verstünde man nur besser, was in solchen Zeiten mit dem Kind los ist! Man würde dann wahrscheinlich durch Ungeduld ihm nicht so jede Tür vor der Nase zuschlagen, vor der er im Grunde sehnsüchtig steht. Findet man einmal das richtige Wort, so kann man direkt merken, wie wohl es ihm tut. Als wir am Silvesterabend noch einmal den Christbaum angesteckt hatten und Weihnachtslieder sangen, fing er wieder an zu jammern, als irgendwann eben doch Schluss gemacht werden musste. Da nahm ich ihn zu mir und sagte ihm, dass ich auch traurig sei, dass Weihnachten nun vorbei sei, aber dass wir uns nun schon auf nächste Weihnachten freuen wollten. Er hörte nicht nur sofort zu jammern auf, sondern war dann auch so überströmend zärtlich, dass man merken konnte, wie dankbar er mir für meine Hilfe war.

6. Januar
:

     Ich habe heute zu Waltraut gesagt, ich hätte für die Kinder Schnee bestellt, damit sie besser rodeln könnten. Sie hörte mich schweigend an und schlüpfte dann zur Tür hinaus. Nach einer Weile kam sie wieder und fragte:

“ Wo hast du den Schnee bestellt?
- Beim Petrus.“
- Wie hast du das gemacht?
- Ich habe zu ihm hinauf gerufen, dass ihr Schnee braucht und er euch welchen schicken soll.“

     Waltraut schaute mich ganz gläubig und ehrfürchtig an.  Sie scheint Detlev davon erzählt zuhaben, denn der stürzte sich später auch voller Fragen auf mich.

     “Tante Inge, wie hast du den Schnee bestellt? Wie bist du in den Himmel hinaufgekommen? Und was hat der Petrus geantwortet?“
     Ich sagte ihm, dass ich lediglich von hier unten zum Petrus hinauf gerufen, bis jetzt aber noch keine Antwort bekommen habe. Damit war er dann zufrieden.


7.
Januar:

     Gestern Abend sagte Waltraut vor dem Einschlafen plötzlich ganz unvermittelt zu Helga: „Gell, der Vati sagt immer Walli zu mir?“

     Und dann kamen heute früh deine Briefe, die du an Gertrud Braun geschrieben hast und die sie Mitte November auf den Weg zu uns geschickt hat. Seit der Geburt des kleinen Gunther und dem Tag, da wir sichere Nachricht von Klaus bekamen, ist dies heute der glücklichste Tag für uns. Es ist mit dir so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe: Dass du in der Gefangenschaft, in eurer eigenen sauberen Welt und der vermutlich schönen Kameradschaft wieder zu dir finden und Abstand gewinnen wirst von den Dingen, die dich draußen förmlich zerrissen haben. Wir haben es auch gelernt darüber hinweg zu kommen, und was am schwersten zu ertragen war: die Entwürdigung, berührt einen nicht mehr. Mögen die Verräter mit ihrem Lohn glücklich werden! Wir werden unser Leben ungebeugt zu Ende leben.


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