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An alle Fernsprechteilnehmer 

Zurück zum Wesentlichen: Was die Telekom jetzt tun muss. 

      Die Telekom-Krise und ihre aktuelle Vorstands-Lösung geben zu denken. Mit einem jugendlich wirkenden Manager wie Ron Sommer (52) lässt sich ein Unternehmen nicht in der Gewinnzone halten. So wie die halbwüchsigen Firmenchefs der New Economy sich so genannte white hair manager als business angels ins Haus holten, so soll jetzt Helmut Sihler (72) das Unternehmen mit der Volks-Aktie retten. Zurück zu alten Werten also lautet die Devise - in allen Bereichen. 

Sinnstiftende Kommunikations-Strategien 

      Manfred Krug hat uns mit seinen kümmerlichen 65 Jahren Lebenserfahrung bitter enttäuscht. Wir haben ihm, dem Anwalt, dem Kommissar, dem Liedermacher ("Niemand liebt Dich so wie ich") vertraut. Aber wir hätten es wissen müssen. Schon beim Kurssturz Anfang des Jahres 2000 antwortete er einem erbosten Kleinanleger, dieser habe erst den "Hals nicht voll" kriegen können, und jetzt müsse er, Krug, sich das "Gejammer" anhören.

      Was die Werbeabteilung der Telekom jetzt braucht, ist ein white-hair-Profi mit Stil, kein polternder Glatzkopf. Und da kann es nur einen geben: Johannes Heesters. 98 Jahre alt und vom Fach, entwarf und malte er doch in seiner frühen Jugend Werbeplakate. Wir wollen Heesters natürlich tanzen sehen. Am besten, er wirbelt nach dem Vorbild Krug/Brauer mit seiner Tochter Nicole (65) übers Börsenparkett, auf den Lippen das versöhnliche Lied: "Wir brauchen keinen Millionen ..."

Sprachpflege und Sprachkritik 

      Der Vater des hiesigen Telefonwesens war auch ein Streiter für die deutschen Sprache: Heinrich von Stephan, der Generalpostmeister des Reiches, führte 1877 - gleich nach der Inbetriebnahme der ersten deutschen Telefonleitung in Berlin - die Übersetzung "Fernsprecher" ein. Er hatte damit weniger Glück als mit anderen seiner Verdeutschungen (etwa einschreiben für "recommandieren"). Aber dennoch leuchtet sein Andenken seit über 100 Jahren. Verflucht seien dagegen von Stephans späte Nachfahren, die Wortpestbeulen wie "CityCall", "T-Net 100" oder "T-Online by Day & Night" über das Land gebracht haben. Denn ihre Kreationen haben gerade bei der älteren, aber auch bei der sprachsensiblen Kundschaft für Verdruss gesorgt.

      Deshalb muss die Devise ab sofort heißen: Ich kenne keine User mehr, ich kenne nur noch Kunden. Die Telekom ist schließlich nicht irgendeine Internet-Startup-Wichsbude, sondern ein Unternehmen, das wie wenige andere Teil der deutschen Leitkultur ist. Eine Firma, die davon lebt, Sprache zu übertragen, darf die Sprache nicht so offensichtlich verunreinigen. Sonst vertrauen wir ihr so wenig wie einem Winzer, der seine Ware durch Heizölpipelines pumpt.

Zur Ikonografie des Telekom-Helden 

Die Parallelität ist verblüffend: Unternehmen und sportliche Leitfigur straucheln zur gleichen Zeit. Rad-Profi Jan Ullrich hat sich mit seinem Ecstasy-Geständnis ohnehin von der Zielgruppe der Telekom entfernt. Seine Zukunft ist ungewiss. Die Identität der Telekom muss also runderneuert werden. Für die dringend benötigte Entschleunigungs- Strategie (siehe unten) fährt der juvenile Radler auch zu schnell.

Gestandene Festnetz-Telefonierer über 70 haben doch Schwierigkeiten, die gelben und grünen Trikots beim Vorbeirasen überhaupt zu erkennen. Doch braucht die rüstige Kundschaft zwischen Golf-Kurs und Animation im Club Méditerranée ein sportliches Vorbild. Der anerkannte Radfahrer Täve Schur sorgte schon in den Aufbau-Jahren der DDR für Identitätsstiftung. Als ausgebuffter Vorzeigeprofi und Mitglied des Bundestages (PDS) hat der 69-Jährige auch keinerlei Drogenerfahrung vorzuweisen. Und Schurs Taten aus den Pionierzeiten des Radsports und des Telefonierens lassen sich in die Gegenwart ummünzen. "Täve warnt vor Kommunikations-Schlaglöchern" und "Hier braucht niemand mehr Jahre auf den Heimanschluss zu warten", ergeben besondere Sympathiepunkte bei Telekom-Kunden in Ostdeutschland.

Monopolisierung der Gesprächskultur 

Statt sich für amerikanische Netz-Betreiber zu überschulden, sollte sich die Telekom der goldenen Jahre erinnern, als sie sich aufs hiesige Fernsprechwesen konzentrierte. Kein Draht führte da an der Telekom bzw. ihrer Vorläuferin vorbei. Klar, das hässliche Wort "Monopol" mag niemand mehr hören. Aber es gibt andere Wege, Deutschlands Gesprächskultur unter Kontrolle zu bringen. Indem man nämlich deren Kernbestandteile - Fernsehen und Bildung - in eine Telefonaktion überführt: Günter Jauch muss zu jeder Tages- und Nachtzeit die Leute anrufen und fragen: "Wann starb Kaiser Friedrich II.?" oder "Wo liegen die Komoren?"

Gefragt werden natürlich nur Telekom-Kunden - aber das will jeder werden, wenn man mit Wissen angeben und Geld gewinnen kann. Da wäre die Telekom wieder Garant der Leitkultur im Lande der Dichter und Denker. Zugewanderte Kunden sind auch zu fragen "Was ist ein Schulgebet?" Und wenn man Schüler mit der Frage "Was ist Dativ?" konfrontiert, werden gleich zwei Landessorgen - Pisa-Schock und Telekom-Krise - mit einem Anruf gelindert.

Über Marken-Diversifizierung und Retro-Kult. 

Von Adidas und Puma lernen heißt siegen lernen. Die beiden deutschen Sportfirmen haben es geschafft, dass eine versnobte jugendliche Kundschaft für limitierte Sonderauflagen lang verflossener Schuh- und Jackenmodelle viel Geld hinlegt. Motto: Was für die sowjetische Fußballnationalmannschaft von 1962 gut war, kann für mich nicht schlecht sein. Vom Imagegewinn profitieren auch die billigeren Marktsegmente. Auf diesem Sektor sollte die Telekom mit Sonderauflagen orangefarbener Wählscheibenmonster oder schwarzer Bakelit-Schönheiten Punkte machen.

Die bisherigen "Nostalgie"-Modelle sind viel zu offensichtlich nur augentäuschende Hüllen für digitale Inhalte. Sie sind so uncool wie der "New Beetle". Als Berater für Stilfragen empfehlen wir Tyler Brulé - der hat "Wallpaper" ja gerade verkauft. Außerdem sollte man den jungen Kunden optional die Rückkehr zur Analogtechnik anbieten. "Analog" ist cool bei Schallplatten, Musikinstrumenten und Uhren. Warum nicht auch bei Telefonen?

Cocooning und intime Sprechfertigkeit. 

Die letzte alltagsrelevante Großentscheidung der Telekom rationalisierte die Telefonzelle weg zugunsten der offenen Kommunikationssäule. In Krisenzeiten aber muss man Zeichen der Wärme und der Behaglichkeit setzen. Telefonzellen sind Bollwerke gegen das Unbehauste der modernen Gesellschaft und deshalb trendgerecht. Der Hang der Deutschen zu Innerlichkeit und Cocooning wird mit den vier Wänden um den öffentlichen Apparat bestens getroffen; die intime Sprecheinheit in der Zelle läuft der auf der Straße gebrüllten, inhaltsleeren Handy-Botschaft flugs den Rang ab.

Plaudern ohne Aufsicht - ein neuer Spaß für die ganze Familie.

Entschleunigung und haptische Reform. Beim Aktienhandel im Internet sorgen die kurzen Übertragungszeiten dafür, dass die Kurse immer  schneller in den Keller fallen. Welch eine Schmach für die Telekom: Just jenes flotte DSL, mit dem sie wirbt, macht ihrer Aktie den Garaus. Da hilft nur eins: Die Glasfaserverbindungen aus der Erde reißen und durch Kupferkabel ersetzen. Bei deren geringer Übertragungskapazität hält der Kurs bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung.

      Apropos Aufsichtsrat: Bei dessen Pressekonferenz am Montag war der häufigste Satz "Können Sie bitte lauter sprechen?" Im Alter hört man schlechter. Daher sind jetzt in alle Telekom-Telefone Verstärker einzubauen. Und die Handys müssen wieder größer werden. Denn erstens fiel die Telekom-Aktie in dem Maße, wie die Mobiltelefone kleiner wurden; diesen Trend muss man umkehren. Zweitens haben kleine Handys eine kleine Tastatur, auf der Senioren leicht abrutschen und sich vertippen können. Es wäre nicht schön, wenn Helmut Sihler in der SMS zur Übernahme des nächsten amerikanischen Konzerns beim Kaufpreis statt der realistischen zehn Millionen plötzlich zehn Milliarden Dollar eingäbe.

Intelligentes Kultur-Sponsoring

      Mit dem Fall des Aktienkurses ist auch das Vertrauen der Eliten eingebrochen. Das Bildungsbürgertum und die scharfsinnigen Intellektuellen - Multiplikatoren der Gesellschaft - müssen künftig mit Hilfe von Sponsoring-Kooperativen im Kulturbereich zurückerobert werden. Die Telekom sollte einschlägige Produkte präsentieren. Auch hier hilft der Rückgriff auf Bewährtes: Jean Cocteaus Telefon-Drama "Die geliebte Telekom-Stimme" (1930) bereichert die Bühnen der Republik; weil Iris Berben viel zu jung ist, übernimmt die sympathische Inge Meysel die Hauptrolle. Salvador Dalis "Hummer-Telefon (Magenta)" (1936) ziert als Kopie künftig alle deutschen Museen. Als vergleichende Werbung kommt der Hitchcock-Film "Bei Vodafone-Anruf Mord" (1954) zum Kino-Einsatz. Auch das Festspielhaus in Bayreuth (1876) macht mit. Die Farbe Grün wird zugunsten der Telekom-Farbe getilgt, mit dem alten Haus auf dem neuen Magenta-Hügel werden die Opern "Der telefonierende Holländer", "Die Telekom-Meister von Nürnberg" sowie der Zyklus "Der Aktien-Ring der Nibelungen" zu Rennern.

Die Welt vom 18.7.2002 
http://www.welt.de/daten/2002/07/18/0718ku345008.htx