Olympische Spiele München 1972
 


 
 
 
 
 
 
 
 
 


 
 
 
 
 
 


    
 

Boxer  
 
       

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Anweisungen für die Sprecher

     Wie wir Sprecher zum ersten Mal die Revolte probten, weil irgendein Jüngling aus 
Australien es gewagt hatte, beim Sprachtest unsere Kompetenz in Englisch anzuzwei-
feln -
dabei hatte der nicht mal Unrecht, denn alle,  auch Elmar Krause, der  Englisch-
Lehrer,
der  später in Celle Direktor geworden ist - alle hatten wir  "Olympiade"  falsch
ausge
sprochen... Aber dass wir als "hoch qualifizierte Leute" (O-Ton Krause)  uns von
so 
einem  jungen Hüpfer kritisieren  lassen sollten,  bloß  weil der zufällig  Englisch als 
Muttersprache hatte (und dann auch noch dieses Ozzie-Englisch...!), wollte uns nicht 
in den Sinn. 
    Mir war's  eigentlich eher egal,  denn meine Stärken  lagen ja  ohnehin im Französi-
schen, 
und da konnten die meisten anderen nicht so recht mithalten.

   Wie wir dann zum zweiten Mal  -  und diesmal das ganze Sprecher-Team, nicht nur die vom
Fußball  -  revoltierten  und wie ich dem Präsidenten  Daume geschrieben
 und einen  Boykott
angedroht habe (war eh nicht ernst gemeint...),  weil wir entgegen
ursprünglichen Zusagen kei-
nen freien Zugang zu den Sportstätten bekommen sollten;

    wie ich es geschafft habe, zu den Endkämpfen im Olympischen Boxturnier zu kommen,  ob-
wohl es keine Plätze mehr gab:  weil nämlich  nach dem ausgetüftelten Farbkonzept der
Spiele  
der Ausweis fürs Olympia-Stadion  olivgrün war  und der für die Boxhalle dunkelgrün
und der
Kollege, der da Aufsicht führte, anscheinend farbenblind war;

   wie wir, d.h. Kollege Jürgen Schröder (aus Braunschweig, glaube ich) und ich uns durch alle
Kontrollen ins Olympische  Dorf  geschmuggelt haben,  beide leicht angetrunken  und 
deshalb
unglaublich  albern und  ständig in einem  nachgemachten  Schwyzerdütsch,  weiß
der Henker,
warum,  singend:  "Ich han der Foti [=Fotoapparat]  in der Tasch",  und wie ich
da meinen Ju-
gendschwarm  Wilma Rudolph, die  Gazelle der Olympischen Spiele  von Rom
1960  (Gold
über  100 und 200  Meter)  kennen lernen durfte,  eine wunderschöne Frau immer
noch, auch
wenn sie ein paar Pickel im Gesicht hatte;

    wie ich mit dem russischen Linksaußen Oleg Blochin, dem einzigen russischen Weltklasse-
spieler jener Tage,  im Speisewagen gesessen habe und wir uns in einem abenteuerlichen Ge-
misch aus Russisch, Englisch und Deutsch,unterstützt durch anschauliche Zeichnungen
auf der
Serviette, unterhalten haben; 

     wie ich immer wieder  Autogramme gegeben habe,  weil die Deppen von Fans jeden, der 
irgendwie ein Olympiaabzeichen trug,  für einen "Athleten" gehalten haben (ich hab' immer mit 
"Klaus Wunder, Deutschland, Fußball" unterschrieben - Klaus Wunder kam vom MSV Duis-
burg, 
und damals habe ich natürlich keine Ahnung gehabt, dass ich selber mal in Duisburg ar-
beiten
würde...  

    wie wir alle den Kollegen  Manfred Kreiler, damals auch Stadionsprecher bei Bayern Mün-
chen
("Du, der Beckenbauer, des is so a netter!"), besucht haben, irgendwo in einem Münche-
ner
Vorort,  und dann alle  -  bis auf mich, weil ich fahren musste -  volltrunken waren und mir
beim
Einfädeln in die Autobahn enorm geholfen haben  ("Links",  lallte Jürgen Schröder, "links
is frei 
--bis auf den LKW") und ich den Zusammenprall mit einem heranrasenden LKW um 5
cm 
vermeiden konnte;

    wie ich von einem Auswärtsspiel (ich glaub', es war Ingolstadt) mit dem legendären Fußball-
Professor Dettmar Cramer ("Napoleon" nannten ihn die Kollegen ob seiner kleinen Statur und 
seines  großen  Gehabes)  nach  München  gefahren  bin (das war an dem Tag, an dem Klaus 
Wolfermann mit dem eigentlich nicht messbaren Heimvorteils- Vorsprung von 2 cm das Speer-
werfen gewann und  Hildegard Falck sensationell die 800 Meter),  und wie  der Herr Cramer 
sich mit seiner damaligen Lebensabschnittsgefährtin darüber unterhielt, wo er war, als sie war... 
so laut, dass ich es einfach hören musste, denn natürlich war das gesamte Imponiergespräch für 
mich bestimmt  (" Das war doch, als ich in Hongkong war und du in Brasilien? Oder warst 
du damals in Indonesien und ich in Ägypten?  Oder waren wir damals nicht beide in  Du-
bai?
"),
 wofür ich mich wiederum mit intimsten,  wenn auch frei erfundenen Informationen über
den
Alkoholkonsum in der Sportredaktion des Bayerischen Rundfunks bedankte,weil der Herr 
Cramer mich nämlich versehentlich für einen Rundfunkreporter eben dieses Senders hielt;

    wie wir Sprecher in unserer gemeinsamen Unterkunft  ("bescheiden, aber sauber..."),  in der
wir uns zu viert zwei "Nasszellen" teilen mussten, intensive Gespräche darüber
führten, wer die
größten Haufen mache... ;

    wie ich mit Schiedsrichter Rudi Glöckner aus der DDR im BMW-Casino zu Mittag gegessen 
und mich nicht getraut habe, ihn zu fragen, wie er das Leben "da drüben im Osten" so fand;

    wie wir mit  großen Augen seinem brasilianischen  Kollegen Marques  (vor dem Namen stehen 
noch einige "dos" oder "del" oder "os" oder weiß der Teufel was - auf jeden Fall war er steinreich 
und betrieb die Schiedsrichterei als Hobby)  -  wie wir also diesem Herrn Marques staunend  zu-
sahen, als er vor dem Spiel  in der Kabine seinen Altar aufbaute und uns dann rausschmiss, 
 weil
er erst einmal beten wollte;  aber wir wären natürlich auch  von selber gegangen, denn wir 
waren
zwar für unser Alter und unsere Stellung im Leben viel zu albern, aber so indiskret wären
wir nicht
gewesen, ihm beim Beten zuzusehen;

    wie ich eine russische Trainerin überschwänglich beglückwünschte, weil sie einfach so aussah, 
als sei sie die Trainerin der unglaublichen Olga Korbut, des Turnwunders dieser Spiele, (so 'was
merkt man doch einfach,  das sieht man einem  Menschen  an!) und dann, nachdem  sie  mir  
ihr
Autogramm gegeben  und ich den Namen entziffert hatte, feststellen musste, dass sie die
Traine-
rin irgendeiner unbedeutenden Staffel war,  die schon im Zwischenlauf ausgeschieden war,  und 

wahrscheinlich bis heute nicht weiß, wofür sie damals beglückwünscht worden ist;

   wie ich meine erste Ansage machte - beim Eröffnungsspiel  Deutschland gegen Malaysia und 
vorher in die  Umkleidekabine der Malaysier ging, angeblich um mich zu vergewissern, wie die 
Namen ausgesprochen werden mussten, aber in Wirklichkeit, weil ich einfach sehen wollte, wie 
es in so einer Kabine zugeht kurz vor einem Spiel, das ja nun immerhin in die ganze Welt über-
tragen wurde (Millionen würden meine Stimme hören, allerdings leider ohne zu wissen, wem sie 
zuzuordnen war...), und wie verwundert ich war,  dass diese malaysischen Spieler,  die ich mir 
ungeheuer exotisch vorgestellt hatte, auch weil sie ja alle irgendwie den gleichen Namen hatten, 
eigentlich so aussahen wie andere Fußballer auch;

    wie Annette mich nach der  Übertragung dieses  Eröffnungsspiels  ganz aufgeregt anrief und 
geradezu ehrfürchtig sagte:  "Detlev,  ich habe  genau deine Stimme  gehört!" - dabei konnte sie 
das zu  Hause doch  jeden  Tag haben,  aber die Stimme des Ehegatten  aus dem Fernseher zu 
hören, das hatte halt schon was...

   wie Jupp Derwall mich aus der deutschen Kabine schmeißen wollte, weil er mich für einen 
Journalisten hielt,  und dann ganz freundlich wurde, als ich sagte, ich sei der Stadionsprecher 
und müsse die  Aufstellung wissen  (dabei haben wir die natürlich immer  ganz offiziell von ir-
gendeinem Funktionär bekommen, aber ich wollte eben in die deutsche Kabine, weil, nun ja..

- und hätte ich damals gewusst, wie berühmt der Uli Hoeneß und der Otmar Hitzfeld  einmal 
werden würden, hätte ich mich wohl noch etwas länger in der Kabine aufgehalten...);

   wie ich es einmal gewagt habe, mich über die Regeln des  NOK hinwegzusetzen  und den 
70.000  Menschen im  Olympiastadion verkündete, dass der deutsche Boxer Kottysch eine 
Goldmedaille gewonnen habe - mit Ansätzen jenes  nationalen Tremolos in der Stimme,  für 
das im  legendären Weltmeisterjahr 1954 Herbert  Zimmermann ("Toni, Toni, du bist unser 
Gott, unser Fußballgott!") unsterblich geworden ist;

     wie ein Techniker über die Fußballer aus Kamerun spottete: "De san ja noch müad vom
Bananenbiagn" (Die sind ja noch müde vom Bananenbiegen)  und ich dies für eine 
echt wit-
zige bayerisch-folkloristische Bemerkung  hielt und den urgemütlichen Alltags
faschismus,der
in diesen Worten steckte, überhaupt nicht erfasste...

    Und natürlich kommt immer wieder die Erinnerung an jenen Tag, an dem ich in der Spre-
cherkabine saß und spontan,  fern von vorbereiteten Ansagemustern,  in drei
Sprachen über
das berichten sollte,  was sich gerade im Olympischen Dorf abgespielt
hatte - und das engli-
sche Wort für  "Geiseln" wollte mir einfach nicht  einfallen.  Aber
wahrscheinlich  hat das eh
keiner gemerkt,  denn zu heftig war der Schock,  zu tief
saß der Schmerz darüber, dass uns
die Terroristen nun "unsere" Spiele kaputt gemacht
hatten.

   Ja,  und damit bin ich doch  wieder beim Anfang - und  über alle  heiteren, positiven Erin-
nerungen legt sich doch wieder der Schatten des Schreckens, der Angst, der ohn
mächtigen
Wut, und ich muss auch bei mir feststellen, dass München 1972  dann
letztendlich doch die
Spiele  des Attentats waren  -  oder  zumindest auch die Spiele des
Attentats, und dass aus
den heiteren selbst in der Erinnerung, die doch  so oft die
schmerzlichen Ereignisse aus dem
Leben ausblendet, die blutigen Spiele geworden sind...