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Anweisungen für
die Sprecher
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Wie wir
Sprecher zum
ersten Mal die Revolte probten, weil irgendein Jüngling
aus
Australien
es
gewagt hatte, beim Sprachtest
unsere Kompetenz in Englisch anzuzwei-
feln - dabei
hatte der nicht
mal Unrecht,
denn
alle, auch Elmar Krause, der Englisch-
Lehrer, der
später in Celle Direktor
geworden
ist - alle hatten wir "Olympiade" falsch
ausgesprochen...
Aber dass wir als "hoch
qualifizierte Leute" (O-Ton Krause) uns von
so einem
jungen Hüpfer
kritisieren lassen sollten,
bloß weil der
zufällig
Englisch als
Muttersprache
hatte (und dann auch noch
dieses Ozzie-Englisch...!), wollte uns nicht
in
den
Sinn.
Mir war's
eigentlich
eher egal, denn meine Stärken lagen ja
ohnehin
im
Französi-
schen,
und da konnten die
meisten
anderen
nicht so recht mithalten.
Wie wir dann zum zweiten
Mal
- und diesmal das ganze Sprecher-Team, nicht nur die vom
Fußball - revoltierten und wie
ich dem
Präsidenten
Daume geschrieben und
einen Boykott
angedroht habe (war eh nicht ernst gemeint...), weil wir
entgegen ursprünglichen
Zusagen kei-
nen freien Zugang zu den Sportstätten bekommen sollten;
wie ich es geschafft
habe,
zu den Endkämpfen im Olympischen Boxturnier zu kommen,
ob-
wohl es keine Plätze mehr gab: weil nämlich
nach
dem
ausgetüftelten Farbkonzept
der Spiele
der Ausweis fürs
Olympia-Stadion
olivgrün war und der für die
Boxhalle
dunkelgrün und
der
Kollege, der da Aufsicht führte, anscheinend farbenblind war;
wie wir, d.h. Kollege
Jürgen Schröder (aus Braunschweig, glaube ich) und
ich uns
durch alle
Kontrollen ins Olympische Dorf geschmuggelt
haben,
beide
leicht angetrunken und deshalb
unglaublich albern und ständig in einem
nachgemachten
Schwyzerdütsch, weiß der
Henker,
warum, singend: "Ich han der Foti [=Fotoapparat]
in
der
Tasch", und wie ich da
meinen Ju-
gendschwarm Wilma
Rudolph, die
Gazelle
der Olympischen Spiele von Rom 1960
(Gold
über 100 und 200 Meter) kennen
lernen durfte,
eine
wunderschöne Frau immer noch,
auch
wenn sie ein paar Pickel im Gesicht hatte;
wie ich mit dem
russischen
Linksaußen Oleg Blochin, dem einzigen russischen Weltklasse-
spieler jener
Tage, im
Speisewagen
gesessen habe und wir uns in einem abenteuerlichen Ge-
misch aus Russisch, Englisch und Deutsch,unterstützt durch
anschauliche
Zeichnungen auf der
Serviette, unterhalten haben;
wie ich immer
wieder Autogramme gegeben habe, weil die Deppen von
Fans
jeden, der
irgendwie ein Olympiaabzeichen
trug,
für einen "Athleten" gehalten haben (ich hab' immer
mit
"Klaus
Wunder, Deutschland, Fußball"
unterschrieben - Klaus Wunder kam vom MSV Duis-
burg, und
damals habe ich
natürlich
keine Ahnung gehabt, dass ich selber mal in Duisburg ar-
beiten würde...
wie wir alle den
Kollegen
Manfred Kreiler, damals auch Stadionsprecher bei Bayern Mün-
chen ("Du, der
Beckenbauer, des is so a
netter!"), besucht haben, irgendwo in einem Münche-
ner Vorort,
und dann alle
-
bis auf mich, weil ich fahren musste - volltrunken waren und
mir
beim Einfädeln
in die Autobahn enorm
geholfen
haben ("Links", lallte Jürgen
Schröder, "links
is frei --bis
auf den LKW") und ich
den
Zusammenprall mit einem heranrasenden LKW um 5
cm vermeiden
konnte;
wie ich von einem
Auswärtsspiel (ich glaub', es war Ingolstadt) mit dem
legendären Fußball-
Professor Dettmar Cramer
("Napoleon"
nannten ihn
die Kollegen ob seiner kleinen Statur und
seines
großen
Gehabes) nach München
gefahren bin (das
war an dem Tag, an dem
Klaus
Wolfermann mit dem eigentlich
nicht
messbaren Heimvorteils- Vorsprung von 2 cm das Speer-
werfen gewann und
Hildegard Falck
sensationell die 800 Meter), und wie der Herr
Cramer
sich mit seiner damaligen
Lebensabschnittsgefährtin darüber unterhielt, wo er
war, als
sie war...
so laut, dass ich es einfach
hören
musste, denn natürlich war das gesamte
Imponiergespräch
für
mich bestimmt (" Das
war doch,
als ich in Hongkong war und du in Brasilien? Oder warst
du damals in
Indonesien und ich in
Ägypten? Oder waren wir damals nicht beide
in Du-
bai?"), wofür
ich mich
wiederum
mit intimsten, wenn auch frei erfundenen Informationen
über
den Alkoholkonsum in
der Sportredaktion
des
Bayerischen Rundfunks bedankte,weil der Herr
Cramer mich nämlich
versehentlich
für einen Rundfunkreporter eben dieses Senders hielt;
wie wir Sprecher in
unserer gemeinsamen Unterkunft
("bescheiden, aber sauber..."), in
der
wir uns zu viert zwei "Nasszellen" teilen mussten, intensive
Gespräche
darüber führten,
wer die
größten Haufen mache... ;
wie ich mit
Schiedsrichter Rudi Glöckner aus der DDR im BMW-Casino zu
Mittag
gegessen
und mich nicht getraut habe,
ihn zu fragen,
wie er das Leben "da drüben im Osten" so fand;
wie wir mit
großen
Augen seinem brasilianischen Kollegen Marques (vor
dem
Namen
stehen
noch einige "dos" oder "del"
oder "os" oder
weiß der Teufel was - auf jeden Fall war er
steinreich
und betrieb die
Schiedsrichterei als
Hobby)
- wie wir also diesem Herrn Marques staunend
zu-
sahen, als er vor dem Spiel in der Kabine seinen Altar
aufbaute
und
uns dann rausschmiss, weil
er erst einmal beten wollte; aber wir wären
natürlich
auch
von selber gegangen, denn wir waren
zwar für unser Alter und unsere Stellung im Leben viel zu
albern,
aber
so indiskret wären wir
nicht
gewesen, ihm beim Beten zuzusehen;
wie ich eine
russische
Trainerin überschwänglich
beglückwünschte, weil sie
einfach
so aussah,
als sei sie die Trainerin der
unglaublichen
Olga Korbut, des Turnwunders dieser Spiele, (so 'was
merkt man doch einfach, das sieht man einem
Menschen
an!)
und dann, nachdem sie mir ihr
Autogramm gegeben und ich den Namen entziffert hatte,
feststellen
musste, dass sie die Traine-
rin irgendeiner unbedeutenden Staffel war, die schon im
Zwischenlauf
ausgeschieden war, und
wahrscheinlich bis heute nicht
weiß,
wofür sie damals beglückwünscht worden ist;
wie ich meine erste Ansage
machte - beim Eröffnungsspiel Deutschland gegen
Malaysia
und
vorher in die
Umkleidekabine der
Malaysier ging, angeblich um mich zu vergewissern, wie die
Namen ausgesprochen werden
mussten, aber in
Wirklichkeit, weil ich einfach sehen wollte, wie
es in so einer Kabine zugeht
kurz vor einem
Spiel, das ja nun immerhin in die ganze Welt über-
tragen wurde (Millionen
würden meine
Stimme hören, allerdings leider ohne zu wissen, wem
sie
zuzuordnen war...), und wie
verwundert ich
war, dass diese malaysischen Spieler, die ich
mir
ungeheuer exotisch vorgestellt
hatte, auch
weil sie ja alle irgendwie den gleichen Namen hatten,
eigentlich so aussahen wie
andere
Fußballer auch;
wie Annette mich nach
der Übertragung dieses
Eröffnungsspiels
ganz aufgeregt anrief
und
geradezu ehrfürchtig
sagte:
"Detlev, ich habe genau deine Stimme
gehört!" -
dabei konnte sie
das zu Hause
doch jeden
Tag haben,
aber die Stimme des Ehegatten aus dem Fernseher zu
hören, das hatte halt
schon was...
wie Jupp Derwall mich aus
der
deutschen Kabine schmeißen wollte, weil er mich für
einen
Journalisten hielt,
und dann ganz
freundlich wurde, als ich sagte, ich sei der Stadionsprecher
und müsse
die Aufstellung
wissen (dabei haben wir die
natürlich
immer ganz offiziell von ir-
gendeinem Funktionär bekommen, aber ich wollte eben in die
deutsche
Kabine, weil, nun ja..
- und hätte ich
damals gewusst, wie
berühmt der Uli
Hoeneß und der
Otmar Hitzfeld einmal
werden würden,
hätte ich mich
wohl noch
etwas länger in der Kabine aufgehalten...);
wie ich es einmal gewagt
habe,
mich über die Regeln
des NOK
hinwegzusetzen und den
70.000 Menschen
im
Olympiastadion verkündete, dass der deutsche Boxer Kottysch
eine
Goldmedaille gewonnen habe -
mit
Ansätzen jenes nationalen Tremolos in der
Stimme,
für
das im
legendären
Weltmeisterjahr 1954
Herbert Zimmermann ("Toni, Toni, du bist unser
Gott, unser
Fußballgott!")
unsterblich geworden
ist;
wie ein
Techniker
über die Fußballer aus Kamerun spottete: "De san ja
noch
müad vom
Bananenbiagn" (Die sind ja noch müde vom
Bananenbiegen) und
ich
dies für eine echt
wit-
zige bayerisch-folkloristische Bemerkung hielt und den
urgemütlichen
Alltagsfaschismus,der
in diesen Worten steckte, überhaupt nicht erfasste...
Und natürlich
kommt
immer wieder die Erinnerung an jenen Tag, an dem ich in der Spre-
cherkabine saß und spontan, fern von vorbereiteten Ansagemustern,
in drei Sprachen
über
das berichten sollte, was sich gerade im Olympischen Dorf
abgespielt hatte - und
das engli-
sche Wort für "Geiseln" wollte mir einfach
nicht
einfallen.
Aber wahrscheinlich
hat das
eh
keiner gemerkt, denn zu heftig war der Schock, zu
tief saß der
Schmerz darüber, dass uns
die Terroristen nun "unsere" Spiele kaputt gemacht hatten.
Ja, und damit bin ich
doch wieder beim Anfang - und über
alle
heiteren, positiven Erin-
nerungen legt sich doch wieder der Schatten des Schreckens, der Angst,
der
ohnmächtigen
Wut, und ich muss auch bei mir feststellen, dass München
1972
dann letztendlich doch
die
Spiele des Attentats waren -
oder zumindest auch
die Spiele des Attentats,
und dass aus
den heiteren selbst in der Erinnerung, die doch so oft die schmerzlichen Ereignisse aus dem
Leben ausblendet, die blutigen Spiele geworden sind...
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