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Das Robin-Hood-Spiel
Für Kais seelische Hygiene ist die
Fähigkeit, alles sofort im Spiel nachzuvollziehen, ganz unbezahlbar.
Ängste spielt er weg, Freude, Spaß, Abenteuer wiederholt er
für sich, erlebt sie noch einmal, kann doppelt genießen und
die Weltgeschichte, wenn es denn sein muss, auch mal verändern.
Freilich, manchmal wird seine Spielleidenschaft für seine Mitwelt problematisch - wenn er nämlich wieder einmal ein Brettspiel erfunden hat. Er malt dann zunächst zahllose Kringel auf ein Stück Papier, und ein paar von denen werden eingefärbt - das sind dann Ereignisfelder, auf denen man zwei vor und drei zurück muss oder einmal aussetzen oder wieder von vorne anfangen. Das ist ja nun sattsam bekannt und übt einfach keinen Spielreiz aus — jedenfalls auf die Großen nicht, und so muss Kai immer wieder unverrichteter Dinge mit seinen Spielen abziehen, weil die den Großen zu langweilig sind. Die kommen sich zwar dann ganz miserabel vor, wenn er traurig an seinem Tisch vor seinem fertigen Spiel sitzt und klagt: “Keiner will mein Spiel mit mir spielen!“, aber nur die Mama opfert sich manchmal und würfelt ein bisschen mit Kai — allerdings nie sehr lange, weil sie aufatmend sehr bald feststellen kann, dass die Halmasteine für das aufgemalte Spielfeld viel zu groß sind und das Regelwerk des Spiels außerdem doch noch einiger wesentlicher Ergänzungen bedarf. Und eines weiß Kai ja auch: während des Spiels dürfen die Regeln nicht mehr geändert werden...
Und also hat Kai sein Robin-Hood-Spiel erfunden — am 9. Januar des Jahres 1984, dem 40. Geburtstag seiner Tante Gundula und 52 Tage vor seinem siebten. Etwa vier Monate Schreibunterricht hat er in der Schule inzwischen hinter sich gebracht — ausreichend, um eine Reihe von grünen Ereigniskarten (die er dem Papa geklaut hat) zu beschreiben. Wie das Spiel eigentlich verlaufen soll, hat er nie erläutern können; dagegen verdienen es die Ereigniskarten, für die Nachwelt festgehalten zu werden. So viel immerhin ist klar: die Spieler bewegen sich auf einem Spielplan (den Kai vergessen hat anzufertigen), und auf bestimmten Feldern müssen sie eine Karte ziehen, auf der ihnen mitgeteilt wird, was sie soeben erlebt haben und was möglicherweise die schreckliche Folge aus diesem Erlebnis sein kann: “Du bist won einen Rieter über Waln Worn - 1ooo“ (Mama hat das übersetzt: Du bist von einem Ritter überfallen worden. 1000 bedeutet wahrscheinlich, dass der Spieler nun einen Tausender abgeben muss - das kommt vom ,,Monopoly“. Ritterliches Verhalten ist das ja nun wohl nicht, aber wahrscheinlich ist es ein böser Ritter, einer von denen, die Robin Hood immer nachstellen und ihn hindern wollen gute Werke zu tun.) “Die Ritter Haben Disch ens Chewenis Chewown“ Auch auf dieses Blatt hat Mama liebevoll die Übersetzung geschrieben: Die Ritter haben dich ins Gefängnis geworfen. “Da Hst einen Chamv Chvonen. 101000."
“Da Christ 2oo“ — du bekommst 2oo. Hier hat Kai klugerweise offengelassen, was der Spieler bekommt: 2oo Goldstücke oder Halmasteine oder Chips oder Klapse auf den Po - dies muß wohl von Fall zu Fall entschieden werden, was man als eindeutige konzeptionelle Schwäche des Spiels anprangern muss; denn Regeln, wie gesagt, müssen eindeutig sein und vorher feststehen! - Dagegen ist die letzte erhaltene Ereigniskarte eindeutig: Schließlich handelt es sich dabei ganz einfach um ein unverschämtes Plagiat:“Do Chomst ins Chewenis“- du kommst ins Gefängnis! Das hat man im “Monopoly“ schon besser gelesen.
Westfälisches Platt übrigens, dabei bleibt‘s, wird bei Kai zuhause nicht gesprochen. Die Herchunft der vielen CH‘s wird ungechlärt bleiben. |