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Ich über mich | Olympia 1972 |
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Alle möchten geklonte
Amerikaner sein Untermieter und Bürger zweiter Klasse im eigenen Land Von Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer Wird Deutsch eine Eingeborenensprache? Diese provozierende Frage will ich an den Beginn meines Vortrags stellen. Und damit jedermann klar ist, in welcher Richtung die Provokation gehen soll, frage ich ausführlicher: Wird Deutsch hier in Deutschland eine Eingeborenensprache in einer Gesellschaft mit angloamerikanischer Kultur? Diese Frage richtet sich nicht gegen das Englische oder gegen die englischsprachige Welt. Wie könnte ich als Mensch, der mitten im Leben steht, wie könnte ich als Anglist so töricht sein, gegen die internationale Stellung des Englischen anrennen zu wollen! Es geht auch nicht in erster Linie um ein paar mehr oder weniger Fremdwörter aus dem Englischen, obwohl vieles von dem, was man da neuerdings hört und liest, überflüssig und albern ist und überdies gelegentlich im Englischen selbst gar keinen Sinn macht.
Durch die immer
stärker zunehmende Neigung von Deutschen, alles, was neu ist und
modern oder so aussehen soll und was als innovativ oder modisch
gilt, in Englisch auszudrücken, wird Deutsch zur Sprache von
gestern.
Man stiehlt dem Deutschen die Lebenskraft, indem man es nicht Bemerkenswert scheint
mir, dass dies insbesondere im letzten Jahrzehnt dominierend geworden
ist. Gewiss ist dies zum Teil ein Ergebnis der fortschreitenden
Globalisierung. Aber die typisch deutsche Exzessivität dieser
Tendenz scheint mir eher die Reaktion auf die wieder gewonnene
nationale Einheit. Jetzt, wo der durch die Revolution von 1848
begonnene Weg durch die friedliche Revolution vom Herbst 1989 endlich
zur Vereinigung von Nation und Bürgerfreiheit in ganz Deutschland
geführt hat und niemand mehr behaupten kann, die Verfolgung
nationaler Anliegen gefährde Frieden und Demokratie, wir aber
jetzt vor der Herausforderung stehen, die gesamte deutsche Gesellschaft
zu
erneuern, versuchen viele, insbesondere aus der erfolgsverwöhnten
bundesdeutschen
Gesellschaft, der deutschen Geschichte und der deutschen Gegenwart zu
entkommen, Charakterlose Gesellschaft Die Situation ist
keineswegs neu in Deutschland, so wie ja auch
der Hang zum Extremismus unsere ganze deutsche Geschichte durchzieht.
Man
braucht im folgenden Zitat aus Lessings Hamburgischer
Dramaturgie
nur das Französische und die Franzosen durch das Englische und die
Amerikaner zu ersetzen, um eine treffende Beschreibung der
Charakterlosigkeit auch der
gegenwärtigen deutschen Gesellschaft zu erhalten. „Fast sollte man sagen, dieser sei: keinen eigenen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschwornen Nachahmer alles Ausländischen, besonders noch immer die untertänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen; alles was uns von jenseits dem Rheine kömmt, ist schön, reizend, allerliebst, göttlich; lieber verleugnen wir Gesicht und Gehör, als daß wir es anders finden sollten; lieber wollen wir Plumpheit für Ungezwungenheit, Frechheit für Grazie, Grimasse für Ausdruck, ein Geklingle von Reimen für Poesie, Geheule für Musik uns einreden lassen, als im geringsten an der Superiorität zweifeln, welche dieses liebenswürdige Volk, dieses erste Volk in der Welt, wie es sich sehr bescheiden zu nennen pflegt, in allem, was gut und schön und erhaben und anständig ist, von dem gerechten Schicksale zu seinem Anteile erhalten hat. “ (Hundertunderstes, -zweites, -drittes und -viertes Stück) Nachdem zwischenzeitlich, aber doch schon vor einer beträchtlichen Weile, jene in Deutschland das Sagen hatten, denen alles Welsche ein Greuel war und die am deutschen Wesen die Welt genesen lassen wollten, badet jetzt die deutsche Gesellschaft schon geraume Zeit und mit ständig wachsender Hingabe in Amerikaseligkeit und trägt Sorge, dass nicht einmal ihre Badehose noch ein deutsches Etikett trägt. Der fortschreitende Statusverlust des Deutschen ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft: für unsere geschichtliche Erinnerung, für unsere geistige Stabilität in einer Zeit raschen Wandels und für unsere künftige Fähigkeit, in Deutsch Neues zu denken und wirkungsvoll zu formulieren. |
Auszug aus einer Rede
vor der Delegiertenkonferenz des Vereins
Deutsche Sprache (VDS) am 25. Mai 2002 in Bautzen
Quelle: Sprachnachrichten
Nr.
2 (Juni 2002), S. 3