Startseite
Ich über mich Olympia 1972
Essener Songtage 1968
Veröffentlichungen
Bitte auf deutsch!
Verweise ("Links")
Texte 
Gästebuch

 
INTERNATIONALE ESSENER SONGTAGE 1968

TAKE A TRIP TO HASHNIDI

Im "Song-Magazin" der IEST 1968, heute eine Fundgrube für alle, die sich mit dem Geist dieser Jahre auseinander setzen wollen, hat Thomas (Tom) Schröder, einer der Initiatoren, Bemerkenswertes zur Konzeption der großen Samstag-Abend-Show "Take a trip to Hashnidi"  geschrieben. 

Was diese Song-Tage bewirken sollten, wird hier - wenn auch im soziologisch angehauchten Jargon der Sechziger Jahre - deutlich gemacht: Politische Veränderung mit Hilfe von Musik und Haschisch - das Cannabis-Produkt sogar im Titel der Veranstaltung...

Niemals wieder hat übrigens die Essener Grugahalle ein solches Spektakel erlebt, so viele Zuhörer und -schauer (über 13.000, entgegen allen polizeilichen und feuerpolizeilichen Vorschriften...).


 
Thomas Schroeder
Take a trip to Hashnidi
 

Peter Rühmkorf schrieb in „konkret“ (7/68) vom „Blow-Up- Nudismus“, der seine Kunden „mit psychodelischen Farbspielen um die Erkenntnis ihrer powren Lage bringt“. Er wird, was den durch Farbenzauber zu vermittelnden politischen Lernprozeß anlangt, wohl zu großen Teilen Recht haben. Und er würde -  wiewohl Ernst Bloch Musik einmal das Sprengpulver der Welt genannt hat -  seinen Satz der Erkenntnis für alle anderen Künste geltend machen können. Selbst politische Lieder werden - vor Gummiknüppeln und Wasserwerfern, im Kampf des Thälmann-Bataillons - allenfalls ritualisierende oder -  wenn es in Konzerten hoch kommt - provozierende Funktion haben. Und selbst da werden die "Kunst-ist-doch-Genuß"1)-Genießer sicher nicht nur in den Logen sitzen, da der bürgerliche Zirkus nichts lieber vereinnahmt als den herrlichen, weniger langweiligen Bürgerschreck: Wir sind seit Hellas ziemlich heruntergekommen.

Es ist trotzdem nicht alles Verklärung, was aus der Branche kommt. Wir machen, weil wir die auf der Waldeck2) gestellte Frage (,‚Sollen wir nicht den ganzen Laden sofort schließen, da er nur Zeit verschwendet für die Revolution?“) vorerst verneinen, IEST und in ihrem Rahmen den Trip to Hashnidi. In dem Wort steckt Asnidi (= Essen) drin und Hasch. Ursprünglich sollte die Reise “Happenanny“ heißen, ein Fest mit den Söhnlein vom Söhnlein von Söhnlein, mit Cornelia Froboes und einem Polizeiblasorchester, mit Micky Maus und Glas zersingenden Hunden undsoweiter. Dieses Konzept, wie manch anderes, fiel, weil wir ja, Lernprozeß, zugunsten von Do-it- yourself die reinen Bühnen d a r b i e-
t u n g e n knapp halten wollen. In der zeitlich nicht begrenzten Veranstaltung werden also zu Musik, psychodelischen Effekten, Filmen, Living und Lyrischem Theater hinzukommen: Podiumsdiskussionen, Tanz, Mikrofon-für-jedermann- Freigaben, Umzüge, JeKaMi
3)- Konzerte solo und kollektiv.

Fürs Licht sorgt Gerd Hübinger von der Leisure Society Düsseldorf. Zum action-Teil - der nur im groben und ganzen skizziert ist, so daß Spontanem nicht die Zeit gestohlen wird - haben Dr. Bernhard Frank und ich uns Vorstellungen gemacht. Eingedenk der Tatsache, daß es neben und mit  der Rebellion auch eine (in London, Amsterdam, New York, Essen) vorgelebte Sezession gibt: Bitte keinen Lustverzicht.

Im übrigen wird ab null Uhr auf der Bühne eine Guillotine bereitstehen.

Gerd Hübinger
Living Screen
 

Lightshow ist das große Wort der aktuellen Pop-Szene. Gemeint ist
Unterschiedliches: das Tanzlokal an der Ecke verkauft seine bunten
Glühbirnen unter dem gleichen Schlagwort wie die Pink Floyd bei-

spielsweise ihre liquid-Dias, die als kongeniale Ergänzung ihres
psychedelic-sound verstanden sein wollen.

In beiden Fällen soll ein akustisches Erlebnis durch ein optisches 
vertieft werden. Was man sich davon versprochen hatte, war ur- 
sprünglich mehr, daraus machen auch die Licht-Akteure im legen- 
dären Londoner UFO-Club keinen Hehl. Denn je mehr man danach 
strebte, die Farbspiele in Struktur und Rhythmus der vorgelegten
Musik anzugleichen, desto überdrüssiger wurde das Publikum die-
ser Beigabe, die nach wiederholtem Genuß kaum noch neue Erleb-
nisdimensionen öffnete.

Living Screen, von Gerd Hübinger und Swjatoslaw Petrowa für TAKE 
A TRIP entwickelt, ist ein neuer Versuch, der akustischen Sensation 
vor den Mikrophonen eine optische auf der Leinwand gegenüber- 
zustellen, die sich weder in platter Beleuchtungsakrobatik erschöpft 
noch zum Selbstzweck gerät. Vorgestellt wird eine Montage aus Film 
und Dia, liquids und Lichtspiel, ein programmiertes Schauerlebnis, das 
sich aus über zwanzig wechselnden Projektionen zusammensetzt. In
der gleichzeitigen und chronologischen Beziehung dieser visuellen 
Ereignisse zueinander und in ihrem Wechselspiel mit dem akustischen
Erlebnis auf der einbezogenen Bühne soll sich die neue Form realisieren.

Living Screen setzt sich vor den Bühnen fort. Auf elektronischem Weg
werden akustische Impulse der Musik über ein neuentwickeltes Um- 
setzungsverfahren auf die Scheinwerferanlage der Grugahalle über-
tragen, 
so daß das Licht des Saales im Rhythmus der Musik atmet.
Ekstatische Höhepunkte garantiert ein Masseneinsatz von Original-
Strobe-Lights der Leisure Society.

 
 
   

Song-Magazin IEST 68 S. 138 - 139
 

 
1) Zitat aus dem Lied "Väterchen Franz" von Franz Josef Degenhardt: "Hey Väterchen Franz, hey Väterchen Franz, 
hör auf mit der Geschichte, Kunst ist doch Genuß..."
2) Burg Waldeck war in den Sechziger-Jahren die Keimzelle der deutschen Liedermacherszene - mit einem emi-
nent (links-) politischen  Anspruch. Berühmt geworden sind aus dieser Szene vor allem Hannes Wader und natürlich
Reinhard Mey.
3) Im Zuge der Demokratisierungswelle der Zeit und der Abkehr vom Starkult wurden überall "Jeder kann mit-
machen"-Konzerte propagiert. Kunst sollte nicht mehr konsumiert, sondern agierend erfahren werden.