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Freitag, 7. Mai 2004
Misshandlungen oder Folter?
"Rumsfeld hat eine Chance"

Seit Tagen gehen immer neue Fotos um die Welt, auf denen US-Soldaten zu sehen sind, die irakische Gefangene misshandeln und erniedrigen. US-Präsident Bush hat sich für die Misshandlungen entschuldigt. In einer Entschließung forderte das US-Repräsentantenhaus, die Beteiligten müssten umgehend bestraft werden. Wir sprachen mit Holger Mey vom Bonner Institut für Strategische Analysen über die Misshandlungen.
 
Herr Mey, Sie sind täglich mit militärischen Fragen und Konflikten befasst; waren auch Sie von den Bildern geschockt?
 
Wenn man sich mit dem Thema Krieg beschäftigt, dann kann einen nicht mehr viel schockieren. Auf dem Balkan etwa sind Dinge passiert, die vergleichsweise unfassbar sind. Gleiches gilt für den Krieg in Tschetschenien. Dennoch sind das natürlich Bilder, die auch den Fachmann außerordentlich betroffen machen - nicht zuletzt, weil hier gewissermaßen von "unserer Seite aus" Dinge passiert sind, die vollkommen inakzeptabel sind. Vom menschlichen Aspekt, der natürlich der wichtigste ist, einmal abgesehen: Solche Vorfälle sind total kontraproduktiv.
 
Gibt es für derartige Misshandlungen eine Erklärung? Einfach gefragt: Was bringt Menschen dazu, so mit anderen zu verfahren?
 
Es ist sicherlich so, dass besonders existenziell bedrohliche Rahmenbedingungen Menschen zu Verhaltensweisen veranlassen, die im zivilen, friedlichen Umfeld unvorstellbar sind. Denken Sie nur an den Balkan, wo die Volksgruppen zumindest unter Tito lange friedlich zusammenlebten; selbst Ehen zwischen den verschiedenen Volksgruppen waren keineswegs unüblich. Kaum jedoch kam es dort zum Konflikt, haben Menschen vollkommen unvorstellbare, bestialische Dinge getan. Offensichtlich gibt es etwas in der menschlichen Psyche, das unter Kontrolle gehalten werden muss. Ich warne davor zu sagen, dass demokratische Streitkräfte gefeit vor Verfehlungen sind. Es fordert eine eiserne Disziplin, auch dann ruhig zu bleiben, wenn man Leute vor sich hat, die vielleicht noch vor kurzem auf einen geschossen hätten oder Kameraden erschossen haben. Hier muss eine gute Ausbildung und gute Disziplin vorbeugen. Unter den sehr extremen Bedingungen, denen Soldaten ausgesetzt sind, kann so etwas immer wieder passieren. Und gerade weil das so ist, muss das System sicherstellen, dass erstens alles getan wird, um so etwas zu vermeiden, und zweitens, dass Misshandlungen, wenn sie passiert sind, sofort geahndet werden.
 
Der neue Leiter des Gefängnisses Abu Ghoreib hat sich für die Misshandlungen entschuldigt und zugleich erklärt, nur "eine kleine Gruppe von Soldaten" sei daran beteiligt gewesen. Dagegen zitiert Reuters einen US-Militärpolizisten mit den Worten, regelmäßige Misshandlungen seien in Abu Ghoreib "an der Tagesordnung" gewesen. Welche Version halten Sie für plausibel?
 
Da müssen wir erst abwarten, bis die Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlicht werden. Von außen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Bewertung abgeben. Es erscheint mir allerdings sehr unplausibel, dass niemand von höherer Ebene etwas von den Misshandlungen wusste. Gleichzeitig erscheint es mir aber auch sehr plausibel, dass nur eine Minderheit beteiligt war. Natürlich wäre es völlig inakzeptabel, wenn die Misshandlungen von Vorgesetzten gedeckt worden wären. US-Präsident Bush hat ja bereits deutlich gemacht, dass die Verantwortlichen auch zur Verantwortung gezogen werden müssen.
 
US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat erklärt, er wolle das "Folter-Wort" im Zusammenhang mit den Vorfällen im Irak nicht benutzen. Womit haben wir es hier zu tun: Folter oder Misshandlungen?
 
Es ist schwierig, hier Definitionen im wissenschaftlich-abstrakten Sinne anzuwenden. Eine konkrete Situation kann so aussehen: Jemand wird verhört, bei dem man davon ausgehen muss, dass er Informationen etwa über geplante Anschläge hat. Diese Informationen muss man haben, um unter Umständen sehr Schlimmes zu verhindern. Salopp würde man nun vielleicht sagen, der Mann kann ruhig mal etwas härter angefasst werden. Dann sind wir sehr schnell in einer Grauzone: Wo hört die "etwas rigorose" Verhörmethode auf, wo fängt Folter an? Das sind Dinge, die am grünen Tisch nur schwer festzulegen sind. Der Grundsatz des absoluten Folterverbots darf dabei jedoch nie in Frage gestellt werden. Die Dinge, die wir auf diesen Fotos sehen, sind natürlich völlig inakzeptabel, übrigens auch völlig unnötig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nach einer solchen Erniedrigung eher zur Aussage bereit ist.
 
Der neue Leiter von Abu Ghoreib hat angekündigt, "Verhörmethoden" wie Schlafentzug sollten künftig von ranghohen Offizieren genehmigt werden müssen. Ist das dann Folter?
 
Bei einem Verhör wie dem eben geschilderten ist natürlich die Frage: Welche Methode wählen Sie, um an die Informationen zu kommen? Vielleicht geht es um Hunderte Menschenleben. Die Frage der Verhörmethoden halte ich für generell sehr problematisch, will aber nicht im Einzelfall sagen, dass Schlafentzug schon von vorneherein ausgeschlossen ist. Wichtig ist, dass eine solche Maßnahme dann im Einzelfall von konkreten Personen verantwortet wird.
 
Sie haben den enormen Image-Schaden bereits angesprochen. Welche Folgen erwarten Sie?
 
Zunächst einmal erwarte ich, dass es Untersuchungen gibt und dass ein solches Verhalten nicht wieder vorkommt. Dann wäre zu überlegen, wie das System verbessert werden kann, damit nicht immer erst hinterher Schadensbegrenzung betrieben werden muss. Zum einen müsste den Vorwürfen immer sofort nachgegangen werden, wenn jemand Misshandlungen meldet. Dann dürfen entsprechende Vorfälle nicht unter den Teppich gekehrt werden; die Öffentlichkeit und vor allem der US-Kongress müssen zügig informiert werden. Gleichzeitig ist zu überlegen, ob neben einer sehr deutlichen Entschuldigung sowohl beim irakischen Volk als auch bei den Opfern und ihren Angehörigen nicht an eine Entschädigung zu denken ist. Das würde zumindest als Geste durchaus verstanden werden in der Region. Dabei spielen natürlich auch mögliche finanzielle Folgen eine Rolle: Als Besatzungsmacht müssen die USA im Irak teilweise auch hart auftreten.
 
Ist die Glaubwürdigkeit der USA nicht zu stark beschädigt, als dass sie darauf hoffen könnten, den Schaden bald wieder zu reparieren?
 
Nein, das glaube ich nicht. Vorfälle, wie die jetzt bekannt gewordenen, sind in dieser Weltgegend nicht gerade ungewöhnlich. Es ist ja nicht gerade so, als hätten die US-Soldaten sich in dieser Ausnahme- situation völlig anders verhalten, als es in der ganzen Region völlig üblich ist. Das Problem ist, dass tausend Dinge, die die US-Soldaten im Irak gut machen, jetzt in Vergessenheit geraten. Aber die arabische Welt weiß, dass diese Misshandlungen nicht gleichzusetzen sind mit Amerika. Dennoch ist die Glaubwürdigkeit nicht nur der USA, sondern des ganzen Westens in der Region ein wichtiges Thema, über das schon lange diskutiert wird. Ich meine, dass der Westen sein Erscheinungsbild in der Region noch sehr verbessern kann.
 
Letzte Frage: Aus deutscher Sicht ist es ein bisschen erstaunlich, dass Rumsfeld noch im Amt ist ...
 
Ach, wir haben sowohl in den USA als auch in Deutschland Beispiele für relativ frühzeitige und für relativ späte Rücktritte. Der amerikanische Präsident wird einen insgesamt sehr guten und erfolgreichen Verteidigungsminister nicht einfach entlassen wollen. Die Sache wiegt natürlich schwer, aber Bush hat Rumsfeld ja auch mit kritischen Worten belegt. Jetzt wird es auf die Untersuchungen ankommen. Wenn die Ergebnisse und Konsequenzen überzeugen, hat Rumsfeld eine Chance. Rumsfeld ist durchaus dafür bekannt, dass er mit seinen Militärs hart umgeht. Diese Führungsstärke, die er sonst immer gezeigt hat, muss er auch jetzt zeigen. Natürlich trägt er die gesamtpolitische Verantwortung. Aber Zeit für Rücktritte ist immer noch.
 
(Die Fragen stellten Volker Probst und Hubertus Volmer)


http://www.n-tv.de/5242510.html