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                 WELT AM SONNTAG 26.09.04


"Das kann ich nicht spielen, das kennt ja keiner"

Auch in Hamburg verweigern sich die Radiosender deutschsprachiger Musik. Vieles spricht für eine Quote

von Stefan Krulle

Der Job von Rosita Falke ist nicht leichter geworden in den letzten Jahren. Als freie Radio-Promoterin trägt die Hamburgerin zwar oft genug musikalische Kleinodien in die Redaktionen der Sender, holt sich aber trotzdem weit häufiger Abfuhren ein als früher. "Die meistgesprochenen Sätze sind: Das ist toll, aber das kann ich nicht spielen, das kennt ja keiner. Oder: Super, finde ich wunderschön, aber das passt nicht in unser Format."

Am schlimmsten ist es immer dann, wenn Rosita Falke deutschsprachige Künstler zu promoten hat. Und noch ein bisschen schlimmer, wenn sie mit deren neuen Platten beim NDR vorspricht.

"In der Regel gerade einmal zwei Prozent Musik in der Muttersprache", so weiß der Medienberater und frühere Programm-Gestalter beim einstigen SWF 3, Michael Schmich, spielen Sender wie NDR 2. Und fügt an: "Inzwischen sind die Öffentlich-rechtlichen weit fantasievoller als die Privatradios, wenn es um das Erfinden fadenscheiniger Gründe dafür geht, weshalb ein Titel nicht gespielt werden kann."

Nur zwei von vielen guten Argumenten für den erneuten Ruf nach einer Quote für deutschsprachige Musik im Radio. 6,6 Milliarden Euro haben ARD und ZDF im Jahre 2003 an Gebühren eingestrichen, 863 Millionen davon fielen an den NDR, runde 30 Prozent darf der Rundfunk auf seinen Konten verbuchen. Für diese 250 Millionen Euro, so sollte man meinen, sei der Auftrag, die Bevölkerung Norddeutschlands staatsvertrags-gemäß mit allen Facetten der Kultur aus Region und Land zu versorgen, mühelos erfüllbar.

Wäre er auch. Wird er aber nicht! Seit die Privatsender Formatradio und Hörer-Quote zum Maß aller Dinge ausriefen, hat der Öffentlich-rechtliche Rundfunk erst zur Verfolgung, dann zum Überholen angesetzt. "Sender wie N-Joy", so Michael Schmich, "haben das Prinzip der Formatierung auf die Spitze getrieben und fangen jetzt an, sich mit der Konkurrenz im eigenen Hause zu kannibalisieren. Mit dem NDR 2 beträgt die Repertoire-Überschneidung schon jetzt gute 20 Prozent, zum Leidwesen der Hörer."

Die nämlich müssen entweder mit dem Einerlei leben oder auf die schon über 400 den unterschiedlichsten Stilen verpflichteten Sender im Internet-Radio ausweichen. Das Dumme ist nur: Das erspart niemandem die Rundfunk-Gebühr.

Der phlegmatische Gebührenzahler macht es den Sendeanstalten bisher leicht, sich mit dem leidigen Staatsauftrag nur dort zu befassen, wo es dem eigenen Unternehmen nützt und ansonsten ihren aufgeblähten Apparat zu erhalten. Wer etwa als Journalist vom NDR eine Stellungnahme zur Quoten-Diskussion wünscht, wird von einem Vorzimmer ins nächste verwiesen, bis er bei der Pressestelle landet. Dort sind zwei Dinge zu lernen: Der Sender hält sich strengstens an den Feierabend um 17 Uhr, und sein Pressesprecher, Ralph Coleman, darf einiges, aber nicht für den Sender sprechen.

Programmdirektor Gernot Romann beantwortet Fragen zeitverzögert (und hoffentlich persönlich) per E-Mail, Wellenchef Thorsten Engel ist nicht zu sprechen, NDR 2-Musikchef Fred Schoenagel verdaut wohl noch die "Spiegel"-Vorwürfe, er produziere seine Jingles fürs Geld der Gebührenzahler lieber in Los Angeles als in den hauseigenen Studios.

Das ist beim Marktführer Radio Hamburg anders. Dort darf die Pressesprecherin Martina Müller tatsächlich ihrem Berufsbild entsprechen und Auskunft zum Programm des Senders erteilen. Etwa zur seit einem Jahr alle zwei Wochen ausgestrahlten "Deutschen Nacht". Fünf Stunden lang sind dort vorwiegend Newcomer der deutschen Popszene zu hören, "weil deren Produkte von Jahr zu Jahr besser werden und ihre Chance verdienen".

Auf NDR 2 sind außer Grönemeyer, Söhne Mannheims und vielleicht noch Wir sind Helden die Reihen internationaler Pop-Belanglosigkeiten eng gestaffelt und dürfen ihre oft patinierten Hits bis zum Erbrechen repetieren. Zwar führt Gernot Romann, Programmdirektor Hörfunk, seinen Jugendsender N-Joy ins Feld, "der sich schon immer besonders intensiv mit dem Thema Newcomer beschäftigte", die Erfahrungen seiner Branchen-Kollegen wie der aufmerksamen Hörer sprechen indes eine andere Sprache.

"Bei N-Joy", so Michael Schmich, "liegt der Anteil deutschsprachiger Musik manchmal fast bei zehn Prozent" - allerdings zu Zeiten, da eben diese Musik in den Album-Charts bei knapp 20 Prozent lag. "Und die Tendenz", wie Schmich weiß, "geht ganz klar nach unten."

Während die letzte Stadtpark-Saison in Hamburg mit ausverkauften Konzerten von Wir sind Helden und Rosenstolz, Lotto King Karl und Stefan Gwildis ihre Höhepunkte feierte, während die monatliche "Lausch Lounge" schon in größere Räume umziehen musste und dort junge Künstler wie Regy Clasen, Robin Grubert, Kira und Anett, aber auch ältere Hasen wie Michy Reincke präsentiert, hört der Hanseat in seinem Haussender keinen Ton der heimischen Pop-Szene.

Lediglich Ausnahmen bestätigen die traurige Regel. Dass am 15. November auf NDR 2 ein Radio-Konzert mit Regy Clasen ausgestrahlt wird, ist allein dem nimmermüden Peter Urban zu danken. "Ohne solche Leute", sagt Rosita Falke, "böte das Radio wahrscheinlich gar kein Podium für Newcomer mehr."

Solange der NDR also - wie auch alle anderen ARD-Rundfunkanstalten - als beratungsresistente Behörde agiert, wird der Ruf nach einer Quote für Neuheiten und deutschsprachigen Pop nicht verstummen. Die Mehrkosten für Redakteure und Moderatoren, die diese Berufsbezeichnung wieder verdienen, sind ja durch die nächste Gebührenerhöhung eigentlich im Voraus gedeckt.

Artikel erschienen am 26. September 2004


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