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Deutsch ist in Mode
Musik, Werbung, Sprache: Das Ende der Amerikanisierung hat begonnen
Doris Neujahr

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Im Deutschen Bundestag fand letzte Woche eine Anhörung über eine Rundfunkquote für deutsche Musiker statt. Damit hat eine Initiative von 600 deutschen Musikern die öffentliche Plattform gefunden, die sie verdient. Man kann darüber streiten, ob eine Quote das richtige Mittel ist, denn die Jugend - und um diese Zielgruppe geht es besonders - reagiert nun mal auf alles, was ihr verordnet wird, mit Renitenz. Zum anderen sind die Forderungen weniger deutlich, als das in den Medien vermittelt wurde. Die Musik aus Deutschland, die begünstigt werden soll, könnte auch durch fremdsprachige Texte unterlegt werden. Aber das ist fast sekundär. Endlich werden die Schwierigkeiten thematisiert, die deutschsprachiger Musik im eigenen Land bereitet werden. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer forderte in diesem Zusammenhang - man höre und staune - eine „selbstbewußte Kulturnation“!

Die Diskussion über die Quote ist kein isoliertes Phänomen. Parallel dazu haben Umfragen ergeben, daß nur eine Minderheit in Deutschland die Anglizismen in der Werbung versteht und bejaht. Deutsche und internationale Konzerne kehren inzwischen zur deutschen Werbung zurück. Sat.1 lockt nicht mehr mit „Powered by Emotion“, sondern „zeigt’s allen“, bei Esso heißt es statt „We are drivers, too“ wieder „Packen wir’s an“, und Audi hat „Driven by Instinct“ durch „Pur und faszinierend“ ersetzt. Und passend zur allgemeinen Stimmung singt Wolfsheim-Musiker Peter Heppner vor dem Reichstag („Dem deutschen Volke“) und mit einem Vibrato in der Stimme, der dem Zuhörer Schauer über den Rücken jagt: „Und ich frag’ mich, ich frag’ mich, wer wir sind.“

Zunächst einmal muß danach gefragt werden, warum die Dominanz des Englischen bzw. der Anglizismen trotz rühriger Initiativen von Sprachschützern so lange unangefochten blieb. Wieder einmal war die „Schweigespirale“ wirksam, daß heißt, der zweifelnden Mehrheit wurde durch die veröffentlichte Meinung vermittelt, daß sie hoffnungslos in der Minderheit ist, was sie schweigsam und vorsichtig machte.

Einschüchternd wirkt auch - im Zeitalter internationaler Warenströme und der Massenkultur zumal - das positive Image das Englischen als modern, innovativ, weltläufig. Wer will schon als rückständig, altbacken und provinziell gelten? Trotzdem bleibt Englisch für die meisten eine Fremdsprache, in der ihnen die Kommunikation nur eingeschränkt möglich ist. Wird sie zum Standard, folgt daraus der Verlust von Differenzierung und eine kulturelle, geistige und moralische Regression, was langfristig auch die ökonomische Leistungsfähigkeit und Kaufkraft einschränkt. Da ist es schon eine Frage wert, warum im regelwütigen Deutschland ausgerechnet auf diesem Feld bislang kein Handlungsbedarf erkannt wurde. Mit der Rechtschreibreform wurde sogar versucht, die sprachlichen Differenzierungen und das, was in der Sprache an historischem und kulturellem Wissen gespeichert ist, zu nivellieren.

Ausgerechnet nach der Wiedervereinigung gewann die „Amerikanisierung unserer Sprache“ ein Tempo, „daß es verfehlt wäre, die Unterwanderung eine schleichende zu nennen“, wie der Münchner Amerikanistikprofessor Gert Raeithel 1991 schrieb. Mit ihrer Forcierung sollte einem - irrealen - Deutschnationalismus begegnet und die Verankerung im idealisierten angelsächsischen Westen als dem Sieger der Geschichte symbolisch bekräftigt werden. Für den BRD-Chefideologen Jürgen Habermas ist der Prozeß der Verwestlichung „erst irreversibel, wenn die kulturelle Verwestlichung die Mentalität der gesamten Bevölkerung durchdrungen haben wird“. Sie soll „vorbehaltlos“, also bedingungslos sein, ohne daß eigene Ansprüche geltend gemacht werden können. Es ist das Konzept einer kulturellen Kolonialisierung.

Das ging so lange, wie es gutging. Der Irak-Krieg hat die Attraktivität der westlichen Vormacht erschüttert. Zweitens eröffnet der wirtschaftliche Niedergang die Aussicht auf eine „angelsächsische“ Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland, was gleichfalls zu Furcht und Ablehnung führt. Drittens kündigt sich - aktuell in der Krise von Karstadt-Quelle - der Zusammenbruch der bundesdeutschen Lebenswelt an. Zwar war Quelle längst in die Jahre gekommen, nichtsdestotrotz gehörte sie quer durch alle Generationen und gleichermaßen in West wie in Ost zur Ikonographie der Wohlstandsgesellschaft. Der Massenwohlstand als Grundlage gefühlter Saturiertheit rutscht der Gesellschaft gerade unter den Füßen weg. Es ist nicht länger möglich, die kollektive Identität aus dem naiven Stolz zu schöpfen, über mehr Geld zu verfügen als andere Länder. Der Kulturverlust, der uns sogar den Wert der deutschen Einheit am Stand der Lohnangleichung messen läßt, beginnt Schmerzen zu bereiten.

Xavier Naidoo, Frontmann der „Söhne Mannheims“, beklagte im Bundestag die Ignoranz und den fehlenden Respekt gegenüber deutschsprachigen Künstlern. Das sind Symptome einer lange gepflegten, kulturellen Selbstverachtung, die nun auf das Land zurückschlägt. Die Aktivierung bzw. Transformation der Ikonographie aus der frühen BRD - wie sie im „Wunder von Bern“ unternommen wurde - wird nicht ausreichen, um dieses Dilemma zu überwinden. Die Wiederentdeckung von Kultur und Geschichte muß noch in ganz andere Bereiche vordringen. Es ist doch kein Zufall, daß kein einziger Originalbau der Bonner oder der Berliner Republik eine vergleichbare Anziehungskraft ausübt wie das Reichstagsgebäude.

In seinen 1990/91 verfaßten Provinzialismus-Glossen hat Karl Heinz Bohrer einen deutsch-französischen Vergleich angestellt. Das Pariser Chanson ist in veränderter Form bis heute lebendig geblieben - Frankreich ist ein „Quotenland“ -, während der „hochartikulierte urban-witzige Gassenhauer Berliner Provenienz“, für den Marlene Dietrich, die Comedian Harmonists und Zarah Leander stehen, im „bundesdeutschen Schmalzschlager“ verendet ist. Seine Originalität, sein Witz, seine Erotik und Abgründigkeit waren nicht mehr gefragt. Den Grund dafür sieht Bohrer in dem unbedingten Willen der Nachkriegsdeutschen, sich und die Welt durch Selbstveralberung und -verkleinerung von der eigenen Harmlosigkeit zu überzeugen.

Das „Denglisch“-Geschnatter ist der vorläufige Gipfel dieser Regression, das dem Land seine geistige und kulturelle Spannung und Interessantheit ausgetrieben hat. Für ein Land, das keinen anderen Reichtum hat als seinen versammelten Intellekt, ist das lebensgefährlich. Aber vielleicht liegt gerade darin die Chance zur Umkehr. Im Lied von Peter Heppner heißt es: „Wir sind wir, wir stehn hier, aufgeteilt, besiegt und doch, schließlich leben wir ja immer noch!