Gefährden Anglizismen die deutsche
Sprache?
Modern Talking auf Pseudo-Englisch
Von WALTER KRÄMER
Noch sprechen 100
Millionen Menschen auf der Erde deutsch. Aber viele,
vielleicht sogar die meisten, nur recht widerwillig. Der moderne
Modell-Germane
joggt, jumpt, trekkt, walkt, skatet oder biket, hat fun und feelings,
moods
und moments, sorrows und emotions - und scheint vor nichts auf Erden
solche
Angst zu haben, wie seine eigene Sprache zu benutzen. Deutsch zu
sprechen,
ist vielen Deutschen ganz offensichtlich lästig oder
peinlich.
Für diese kulturelle
Selbstaufgabe gibt es viele vorgeschobene
und zwei wahre Gründe. Einige der üblichen Pseudo-Gründe
sind:
1. Wir sollten uns
freuen, dass es eine so leicht erlernbare, weltweit
verbreitete und allgemein akzeptierte Sprache wie das Englische
gibt.
(Jawohl! Aber was hat das
mit unserem Problem zu tun? Viele Deutsche scheinen zu glauben, das
Erlernen
des Englischen sei nur durch das Verlernen des Deutschen zu erkaufen.)
2. Sprache ist immer
im Fluss. Wir reden heute ja auch nicht mehr
wie die Minnesänger.
(Stimmt. Die Frage ist nur, wohin
die Sprache fließt.)
3. Viele technische
und wissenschaftliche Neuerungen werden heute
mit englischen Namen in den USA geboren.
(Na und? Früher hat man
dafür eins-zwei-drei ein deutsches Wort erfunden:
airplane=Flugzeug,
helicopter=Hub-schrauber, assembly line=Fließband usw. Warum
sollte
das heute nicht mehr möglich sein? Wo bleibt eure
vielgerühmte
Kreativität, ihr hochbezahlten Werbefuzzis?)
4. Durch den Einfluss
des Englischen wird das Deutsche nicht schlechter,
sondern besser, knapper, ausdrucksstärker und präziser.
(Stimmt nur bedingt. "New" für neu, "user"
für Nutzer, "open" für "offen": Wo ist hier ein Gewinn an
Kürze
und Prägnanz? Viele populäre Anglizismen lassen ganz im
Gegenteil
die Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache schrumpfen.
Warum
noch lange unter «Rede, Stellungnahme, Gutachten, Darlegung,
Ansicht,
Ansprache, Appell» und anderen Begriffen die passende
Benennung
suchen, wenn es heute für jedes öffentliche Mundaufmachen den
Anglizismus "statement" gibt? Warum noch zwischen Zierde,
Gipfel,
Prachtstück, Höhepunkt und Glanzlicht schwanken,
wenn
alle Facetten eines Durchbruchs, Marksteins oder Meilensteines
schon mit "highlight" ausreichend beleuchtet sind?)
Alle diese Argumente
können also die Flucht der Deutschen aus ihrer
Muttersprache nicht erklären. Denn was ist das anderes als eine
Flucht,
wenn deutsche Firmen in Deutschland auf Englisch deutsche Kunden
suchen,
wenn deutsche Parteien auf Englisch deutsche Stimmen fangen, wenn wir
Nachrufe
für deutsche Bundesbürger in deutschen Zeitungen auf Englisch
lesen?
Dafür sehe ich zwei
Gründe; der erste ist international:
"Englisch zu reden, ist für manche Berufe
der leichteste Weg, sich auf ein hohes Ross zu setzen und allen
Nachfragen
zu entkommen" (Konrad Adam in der FAZ). Wenn ein Professor
der
Pädagogik eine Untersuchung zum Zusammenhang zwischen der
Klassengröße
und der Qualität des Unterrichts mit dem Fazit abschließt,
dass
der Unterricht in kleinen Klassen im allgemeinen besser sei als der in
großen, so kann er diese Trivialität auf deutsch nicht mehr
vermarkten, auf englisch aber wohl: "Size matters" ist der Titel
dieser Untersuchung.
Oder anders
ausgedrückt: Wer nichts zu sagen
hat, sagt es auf Englisch. Durch das Ausweichen aus der von
allen
verstandenen Muttersprache in eine den meisten nur halb
verständliche
Fremdsprache sind auch Nichtigkeiten noch als gehaltvolle Gedanken
auszugeben, kann
man so schön den Mangel an eigenen Gedanken übertünchen,
der bei dem Zwang, sich klar und deutlich in der Muttersprache
auszudrücken,
so offenbar zutage träte.
Auch das ewige
menschliche Streben, mehr zu scheinen
als zu sein und unangenehme Dinge nicht beim Namen zu nennen,
befördert
natürlich das Ausweichen aus der Muttersprache. So wird dann der Aufpasser
zum steward, der Hausmeister zum facility manager
und die Klobürste zum toilet cleaning set.
Der zweite Grund
für die moderne Anglizismenschwemme beschränkt
sich auf die Deutschen und ist ein Ausfluss unserer Geschichte: Viele
Deutsche flüchten nicht eigentlich aus unserer Sprache (das ist
nur
ein Symptom und für die Flüchtenden eher nebensächlich),
sie flüchten aus ihrer nationalen Haut als Deutsche. Lieber ein
halber
Ami als ein ganzer Nazi, man möchte endlich, und sei es auch nur
leihweise,
zu denen gehören, die in Hollywoodfilmen immer gewinnen, zu den
Edlen,
Guten und Geliebten dieser Erde. Die Pidgin-Sprache, in der viele
Deutsche
heute reden, ist eine Art selbstgefertigter Kosmopoliten-Ausweis, den
seine Besitzer in der Absicht schwenken, dass man sie nicht für
Deutsche
halten möge.
Warum wird so vielen
englischen Wörtern so konsequent die Einbürgerung
verweigert? Früher hat man aus dem shawl den Schal
und
aus den cakes den Keks gemacht, aber heute legen gerade
die
Verfechter der modernen Sprachimporte den größten Wert
darauf,
dass ebendiese Importe als solche deutlich sichtbar bleiben. In Spanien
wird "whiskey" in der Landesssprache "uisqui" ausgeschrieben, aber eher
wird ein deutscher Werbetexter seine Stelle aufgeben als ein an
deutschen
Wortbildungstraditionen angelehntes "Wiski" (oder Pauer für
"power")
zu benutzen. Dann wären nämlich diese Wörter für
ihn
auf einmal nicht mehr attraktiv - Wörter, die er nicht deshalb
gebraucht,
weil sie etwas auszudrücken erlaubten, was auf Deutsch nicht
auszudrücken
wäre, oder weil sie die deutschen Wörter an Prägnanz und
Klarheit überträfen, sondern die er oder sie vor allem
deshalb
liebt, weil es keine deutschen Wörter sind.
Es ist vor allem diese "linguistic submissiveness"
(so die Londoner Times), die die in Deutschland grassierende Anglizitis
zu einer so peinlichen und würdelosen Affäre macht - man
fühlt
sich angeschleimt und ausländischen Gästen gegenüber oft
beschämt ("Bin ich hier in Chicago oder wo?" - Kommentar eines
polnischen
Gastwissenschaftlers auf dem "airport" Düsseldorf). Und solange
wir
mit unserer Identität als Deutsche nicht ins Reine kommen, wird
auch
die deutsche Sprache von ihren aktuellen Leiden nicht genesen.
Prof. Dr. Walter
Krämer lehrt Wirtschafts- und Sozialstatistik
an der
Universität
Dortmund.
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2002
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Anglizismen:
Kein
Grund zur Panikmache - unverdauliche Wörter werden wieder
abgestoßen
Von DIETER HERBERG
In: Journalistik Journal, Jg. 4,
Nr. 1, 22f.; 2001
Dass die
Anglizismen-Debatte aktuell ist, kann an der großen Zahl
laufend dazu publizierter Beiträge und
Meinungsäußerungen,
an den vielen von Sprachvereinen und -gesellschaften organisierten und
gut besuchten Diskussionsrunden oder an wissenschaftlichen Konferenzen
wie der Jahrestagung 2000 des Instituts für Deutsche Sprache
(Mannheim)
mit dem Thema "Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz" abgelesen
werden.
Dass sie nicht originell ist und schon vor hundert Jahren die
Gemüter
erhitzte, belegt etwa eine 1899 von Hermann Dunger veröffentlichte
Kampfschrift mit dem Titel "Wider die Engländerei in der deutschen
Sprache".
Bevor auf einige jeweils
besondere Aspekte eingegangen wird, die der
englische Spracheinfluss im Bereich der Medien und in dem der Werbung
hat,
seien ein paar Bemerkungen vorausgeschickt, die zur Relativierung und
Versachlichung
der häufig allzu emotional geführten Debatte beitragen
sollen:
Es gehört zu den
normalen Vorgängen, dass natürliche
Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung Einflüsse von anderen (oft
benachbarten)
Sprachen aufnehmen und natürlich auch selbst wiederum
Einflüsse
auf andere Sprachen haben. So war auch das Deutsche nie frei von
Außeneinflüssen,
sondern hat in seiner Geschichte bestimmte Wörter aus anderen
Sprachen
- vor allem aus dem Lateinischen, dem Griechi- schen, dem
Französischen
und dem Englischen - übernommen, sich einverleibt und (in der
Regel)
auch gut "verdaut". Viele dieser Entlehnungswellen waren begleitet von
warnenden Stimmen, die jeweils die Gefahr einer "Überfremdung" der
eigenen Sprache beschworen, ja häufig die kulturelle oder
nationale
"Identität" gefährdet sahen.
Seit der Zeit der barocken Sprachgesellschaften haben wir es sogar
mit organisiertem Sprachpurismus zu tun, d.h. mit dem Bestreben, die
Nationalsprache
um fast jeden Preis von fremden Spracheinflüssen "rein" zu halten.
Besonders fatal war und ist dabei ein oft unüberhörbarer
nationalistischer
Beiklang. Sprachveränderungen konnten und können aber weder
von
Organisationen noch durch Verordnungen aufgehalten werden - das gilt
auch
für die jüngste und uns hier beschäftigende Welle
fremdsprachlichen
Einflusses durch das Englische.
Welche Ursachen gibt es
nun für diesen anhaltenden und sich sogar
noch verstärkenden Einfluss, und hat er vielleicht eine andere
Qualität
als z.B. die Wortschatzveränderungen früherer Jahrhunderte
durch
sog. Latinismen oder Romanismen? Im weitesten Sinne ist die Ursache
in der Dominanz der USA in vielen Politik- und anderen Lebensbereichen
zu sehen, die nach dem Zweiten Weltkrieg infolge der
westlich
orientierten Bündnispolitik der Bundesrepublik eine Leit- und
Vorbildrolle
amerikani- scher Lebensformen insbesondere bei der jüngeren
Generation
mit sich brachte. Die dynamische Entwicklung von Wissenschaft und
Technik
in den USA und die damit zusammenhängende Spitzen- stellung der
englischen
Sprache in der internationalen Kommunikation trugen ein Übriges
zur
Verstär- kung des englischsprachigen Einflusses auch auf das
Deutsche
bei.
In Bezug auf den
Wortschatz kann man sagen, dass aus Gründen der
Bezeichnungsangemessenheit mit den Gegenständen oder Sachverhalten
aus der angloamerikanischen Sphäre in der Regel zugleich auch
deren
Bezeichnungen übernommen werden. In unserer Zeit global ungeheuer
beschleunigter Austauschprozesse kann dann leicht der Eindruck einer
ungebremsten Flut solcher Anglizismen entstehen, wobei ihre
ständige
Präsenz in den weltweit vernetzten (neuen) Medien diesen Eindruck
noch verstärkt.
Im Unterschied zu früheren
Jahrhunderten, als Fremdwörter
zumeist nur in der Sprache bestimmter sozialer Schichten (z.B.
Adlige,
Bildungsbürger) vorkamen, betreffen sie heute nahezu die gesamte
Bevölkerung.
Und das nicht nur in bestimmten Teilen der Welt, sondern global: Englisch
ist die erste Sprache überhaupt, die in der ganzen Welt dominant
ist,
und Anglizismen sind daher häufig zugleich
Internationalismen.
Es ist nicht ganz leicht,
einen diesem Befund in möglichst angemessener
Weise Rechnung tragenden sprachwissenschaftlichen Standpunkt zu
formulieren.
Weder Verdammung und Bekämpfung jedweden englischen
Spracheinflusses
noch kritikloses Öffnen aller möglichen Einfallstore für
solchen Einfluss sind gerechtfertigt. Eine realistische Position ist
also
zwischen "Alarmismus" und "Laisser-faire" zu suchen. Sie zu bestimmen,
verlangt eine differenzierende Betrachtung, die hier freilich nur in
ihrer
Richtung angedeutet werden kann.
Unsere im Institut
für Deutsche Sprache (IDS) vorgenommenen Untersuchungen
an Neologismen der Neunzigerjahre haben erbracht, dass von tausend
als "kommunikativ relevant" ermittelten Neuwörtern rund 40
Prozent
Anglizismen, 40 Prozent deutsche Bildungen und 20 Prozent
Hybridbildungen
aus einem englischen und einem deutschen Bestandteil (z.B.
Eventkultur,
Bungeespringen) sind.
Nahezu alle
Lebensbereiche sind mit Anglizismen-Neologismen vertreten, Spitzenplätze
halten die Bereiche Computer (z.B. chatten, E-Mail, Internet),
Medien
(z.B. Daily Soap, Late-Night-Show, zappen), Soziales/ Gesellschaft (z.B.
Event, mobben, Ranking), Sport (z.B. biken, Carving, Skates), Wirtschaft
(z.B. E-Commerce, Globalplayer, Outsourcing). Für die meisten
solcher
Anglizismen spricht das o.g. Argument der Bezeichnungsangemessenheit:
Anstatt
nach einer häufig längeren und umständlicheren deutschen
Übersetzung zu suchen, bedient man sich, indem man die
Bezeichnungen
der Herkunftssprache übernimmt, der Sprachkonvention der fremden
Sprache und erreicht so in Bezug auf das Bezeichnete
Eindeutigkeit.
Es wäre also
töricht, die Vermeidung von Anglizismen-Internationalismen
wie E-Mail, Internet, Globalplayer, Shareholdervalue usw. in den Medien
zu fordern, denn ihre Verwendung ist zumeist sachlich gerechtfertigt
und
unter dem Aspekt der Eindeutigkeit auch geboten.
Allerdings darf man nicht
über die Köpfe derer hinwegreden,
an die man sich wendet. Das verlangt, noch nicht allgemein
geläufige,
aber um der Information willen unerlässliche Anglizismen im Text
entsprechend
einzuführen, d.h. sie mit einer umschreibenden
Bedeutungserläuterung
oder zumindest mit einem bedeutungsähnlichen Ausdruck zu
versehen.
Vom
verantwortungsbewussten, am sachlichen Erfordernis für die
jeweilige journalistische Arbeit orientierten Gebrauch von Anglizismen
der geschilderten Art geht keine Gefahr für die deutsche Sprache
aus.
Auch deshalb nicht, weil natürliche Sprachen "Unverdauliches" und
Überflüssiges auch wieder abstoßen, genauer:
Wörter,
für die kein dauerhafter kommunikativer Bedarf besteht, werden
schließlich
auch nicht mehr verwendet.
Anders
zu beurteilen ist die unkritische und kalkulierte
Verwendung englischen Sprachmaterials, wenn sie Beweggründen wie
Imponiersucht,
Bildungsprotzerei, Wichtigtuerei entspringt oder Modernität,
Weltläufigkeit
suggerieren soll. Im Alltag begegnen uns Belege dafür auf
Schritt
und Tritt, vor allem in der Sprache der Werbung für Produkte (z.B.
Moisturizing Cream statt Feuchtigkeitscreme) oder für
Dienstleistungen
(z. B. Service Point statt Informationszentrum) u.ä. und in der
Namengebung
bei Geschäften, Restaurants usw. (z.B. Back-Shop statt
Bäckerei).
Häufig wird auch ein Pseudo-Englisch verwendet, wobei die
lediglich
effekthascherische Motivation für die Verwendung fremden
Sprachmaterials
besonders deutlich wird (z.B. Underfashion statt
Unterwäsche).
Wenn auch von solcherart
törichtem und überflüssigem
Gebrauch des Englischen keine dauerhafte Gefahr für die deutsche
Sprache
ausgehen dürfte, so ist er doch zu kritisieren, weil er auf
Verständlichkeit - möglicherweise kalkuliert - keine
Rücksicht nimmt
und den Leser/Hörer schlicht "überfährt". Dass man sich
gegen Auswüchse erfolgreich wehren kann, beweist die Tatsache,
dass
die Deutsche Telekom aufgrund von heftigen Protesten ihre Anfang 1998
auf
den Telefonrechnungen eingeführten und vielen Menschen
unverständlichen
Bezeichnungen "CityCall", "RegioCall", "GermanCall" und "GlobalCall"
wieder
zurückziehen musste und seit Anfang 1999 ausschließlich die
verständlichen Bezeichnungen "Cityverbindungen",
"Regionalverbindungen",
"Deutschlandverbindungen" und "Weltverbindungen" benutzt.
Während der
sachlich gerechtfertigte Gebrauch von Anglizismen (Internationalismen)
in medialen Texten nicht zu beanstanden ist, muss der aus Prestige-,
Werbe- und ähnlichen Interessen forcierte Gebrauch des Englischen
abgelehnt werden, weil er
überflüssig ist und die Kommunikation
eher behindert als fördert.
Prof. Dieter Herberg ist Leiter des Projektes Neologismen am
Institut
für Deutsche Sprache in Mannheim. E-Mail-Adresse:
herberg@ids-Mannheim.de
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