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Ich über mich | Olympia 1972 |
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Erste
Augenzeugenberichte vom Mordterror
Neues Ultimatum der Guerillas Trainer der Ringermannschaft bei dem Überfall auf das israelische Sportlerquartier erschossen Mindestens ein weiterer Israeli verletzt / Etwa zehn Athleten als Geiseln festgehalten/ Arabische Attentäter fordern Freilassung von wenigstens 200 Gefangenen in Israel und freien Abzug aus München |
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Der erste Schuß VON PETER PRAGAL Der
Münchner Fernseh-Reporter Dagobert
Lindlau packte seine Filmunterlagen
zusammen und wollte nach anstrengender
Nachtarbeit nach Hause fahren. Es
war Dienstag Morgen kurz nach 4.30 Uhr. Da hörte er einen
einzelnen
„scharfen Schuß." Er schlug, was Lindlau erst später
wahrnahm,
in der Lufthansa-Küche im zweiten Stock des
,Deutschen Olympia-Zentrum'
ein, zerriß eine Scheibe und riß am Ende des Raumes ein
Loch.
Der Reporter blickte auf die Posten, die im
benachbarten olympischen Männerdorf
Wache schoben, entdeckte bei ihnen keine
Reaktion und dachte sich: „Das
wird wahrscheinlich ein besonders humorvoller Sportschütze sein,
der sich einen Scherz erlaubt.”
Lindlau ahnte nicht, daß sich zur gleichen Zeit wenige hundert Meter entfernt ein Verbrechen abspielte. Während die Athleten aus 122 Ländern noch schliefen, drang eine Gruppe von wahrscheinlich fünf arabischen Terroristen mit Maschinenpistolen in das Haus Conollystraße 31 ein. Dort wohnen 15 Sportler der israelischen Männermannschaft. Bei einem Handgemenge am Eingang drückte einer der maskierten Männer seine MP ab. Die Kugel traf Moshe Weinberg, Trainer des israelischen Ringerteams. „Ich sah ihn blutüberströmt liegen”, berichtete später der Journalist Israel Rosenblatt. „Besonders sein linker Arm war voller Blut.” Während drei der Israelis dem Überfall entkommen konnten - einer flüchtete sich in das Olympia- Zentrum außerhalb des Dorfes - wurden die übrigen Athleten als Geiseln festgehalten. Polizei und Organisationskomitee gaben Alarm. Die Posten an den Eingängen wurden verstärkt und angewiesen, keine Journalisten ins Olympiadorf zu lassen. Eine Nachrichten-Sperre wurde ver- hängt. Doch die Hoffnung von NOK - Chef Willi Daume, den brutalen Anschlag zunächst nicht nach draußen dringen zu lassen, schwand bald. Die Nachrichtenagenturen hatten bereits gegen sechs Uhr davon Wind bekommen und die Rundfunk- Olympiawelle verbreitete die Meldung um 7 Uhr. Inzwischen wurde im Untergrund, im Kellergeschoß, das an Garagen vorbei zum Haus 31 führt, ein kriminalpolizeilicher und staatsanwaltli- |
cher
Front-Stab eingerichtet: Experten
der Münchener
Mordkommission, der politischen Polizei und des
Geheimkommandos Sonderfahndung
versammelten
sich, von den Kidnappern ungesehen, in unmittelbarer Nähe des
Objektes.
Man konnte von Zeit zu Zeit einen der Araber - es wird von fünf
gesprochen
- mit seinem Maschinen- gewehr patrouillieren sehen. In seinem
grünen
Blazer- Anzug mit dem Olympia- Emblem - er ist Stadionsprecher - wurde
Erster
Staatsanwalt Dr. Dieter Hummel zum Tatort beordert. Hummel ist bei
Bearbeitungen
arabischer Terroranschläge Experte: Am 10. Februar 1970 war er
es,
der die Ermittlungen gegen die Attentäter vom Flughafen Riem
geführt
hat und ihre Freilassung auf Grund neuer Erpressungen erleben
mußte.
Während
sich immer mehr Neugierige vor den
Eingängen des Olympiadorfes stauten,
während Polizisten sich daran machten, den Verkehr umzuleiten,
über- mittelten
die Terroristen ihre Forderungen auf
drei Blatt Papier, in englischer Sprache.
Das Schreiben wurde von einem Terroristen, einem fast
schwarzhäutigen
Araber, der fließend deutsch sprach, vom Balkon des Hauses
Connollystraße
31 geworfen, dessen Erdgeschoß von der israelischen Mannschaft
belegt
ist. Die Forderung: Die israelische Regierung solle 200
arabische Gefangene
freigeben. Die Terroristen verlangten
darüber hinaus freien Abzug
und Flugzeuge, mit denen sie sich mit ihren israelischen Geiseln
absetzen
wollten. Die Polizeiführung bot dem fließend deutsch
sprechenden
Wortführer der Terroristen eine Geldsumme an, falls
sie die Geiseln
freiließen. Doch die arabischen Gangster lehnten dieses Angebot
ebenso
ab wie das Anerbieten, deutsche Ersatzgeiseln zu stellen. "Es geht
nicht
um Geld und nicht um Geiseln", sagten die Araber, "sondern um die
Freilassung
der Gefangenen."
Wie
brutal und entschlossen die Guerillas an
ihrem Vorhaben festhielten, zeigt
ihre Drohung, sie würden, falls man ihre Forderungen nicht
erfülle,
"alle Israelis erschießen". Wenig später
wurde mitgeteilt,
daß noch ein zweiter Israeli getötet
worden sei.
Während
der Krisenstab unter Leitung von Bundesinnenminister Genscher im
Verwaltungshochhaus
an der Lerchenauer Straße zusammentrat und fieberhaft nach einer
Lösung suchte, waren die meisten
der 4000 in- und |
ausländischen Journalisten in
der Pressestadt
noch
ahnungslos. Im Pressezentrum saßen die
Sportreporter beim
Frühstück
und lasen die Morgenzeitungen. Als Pressechef Hans Klein gefragt wurde,
ob demnächst eine Pressekonferenz stattfinde, fragte er mit
gespielter Ahnungslosigkeit
zurück: "Welche, die von Mark Spitz?"
Was
zunächst wie ein Witz erschien, wurde bald Realität. Nachdem
Klein
mit wenigen Sätzen über die dramatischen Ereignisse im
olympischen
Dorf berichtet hatte, wurde der amerikanische Superschwimmer der
Presse
vorgeführt. So als gebe es zu diesem Zeitpunkt kein wichtigeres
Ereignis,
richteten die Sportjournalisten ihre Fragen an Spitz, wollten wissen,
wie
er sich fühle und was er vorhabe und wen er für den
zweitbesten
Schwimmer der Welt halte. Ein einziger Reporter stellte eine aktuelle
Frage:
Sollten die Spiele nach dem blutigen Terror im Dorf abgebrochen werden?
Spitz:
„Ich finde den Vorfall sehr tragisch und habe keinen weiteren Kommentar
dazu.”
Inzwischen
hatten sich immer mehr Journalisten im Pressezentrum einge- funden.
Aufgeschreckt
von den grau- sigen Nachrichten, begehrten sie mehr zu
wissen. Doch Klein
vermochte ihnen nur zu erzählen, daß Daume den olym- pischen
Frieden für stärker als »den
politischen Fanatismus zynischer Mör- der« halte, und
daß
IOC-Präsident Avery Brundage die
Spiele fortgesetzt sehen möchte. Sonst sei „im Interesse von
Menschenleben”
nichts zu sagen.
Die
Ungewißheit über die tatsächlichen Vorgänge und
der spärliche Informati- onsfluß, den auch Rundfunk und
Fernsehen
nicht reichlich sprudeln lassen konnten, gab der professionellen
Gerüchteküche
Nahrung. Da wurde
die Version verbreitet, die arabische Terroristengruppe sei über
ein verschlossenes, aber nicht bewachtes Tor geklettert. Postbeamte
hätten sie dabei beobachtet, sie jedoch für verspätete
Sportler
gehalten, die einen zuviel getrunken
hätten. Tatsächlich scheint die Kontrolle rings um das
Männerdorf
in letzter Zeit nicht gerade streng gehandhabt worden zu sein. Dem
Reporter
Lindlau, der einen Film über das erwachende Dorf drehen
wollte,fiel
zum Beispiel auf, daß die Sperren an den Zufahrten nach drei Uhr
nachts in einigen Fällen nicht besetzt
gewesen seien. Akkreditierte Journalisten konnten jedenfalls mit ihren
Ausweisen das Dorf |
BEIM
ÜBERFALL ERMORDET wurde der
israelische Ringertrainer Moshe Weinberg. Photo: UPI bis 20.30 Uhr betreten.
Besonders unter den
kanadischen
Sportlern, die nur 20 Meter von der israelischen
Mannschaft entfernt
in der Conollystraße 27 unter- gebracht sind, war deshalb Unruhe
entstanden.
Morris Allen, der Delegationsleiter der Kanadier, äußerte,
man
habe „so etwas befürchtet”, es jedoch nicht laut aussprechen
wollen.
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BUNDESINNENMINISTER GENSCHER (Mitte hinten) wird von Polizeipräsident Schreiber (vor ihm) in die Nähe des Tatorts geleitet. Photo: NOP
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ÜBER DEN ZAUN verließen am Vormittag des Dienstags manche Athleten das olympische Dorf, weil dessen Tore abgesperrt waren. dpa |
das olympische Dorf hermetisch abgeriegelt Photo: UPI
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