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Sturm und Drang (1767-1785)

1. Name

Der Name war ursprünglich der Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831); nach diesem Werk wurde die ganze Epoche genannt.

2. Grundcharakter

Der Sturm und Drang war seinem Wesen nach eine Protestbewegung und zugleich eine Jugendbewegung. Der Protest richtete sich gegen dreierlei:

•    die absolutistische Obrigkeiten in den deutschen Staaten sowie die höfische Welt des Adels,
•    das bürgerliche Berufsleben, das man für eng und freudlos hielt, ebenso wie die bürgerlichen Moralvorstellungen,
•    die überkommene Tradition in Kunst und Literatur.

In dem ersten Punkt stimmte man mit den Aufklärern überein, in dem zweiten Punkt stand man in Widerspruch zu ihnen, und was den dritten Punkt anging, so war man radikaler als die Aufklärer. Bei allen politischen Ideen war der Sturm und Drang in erster Linie eine literarische Strömung.

3. Der literarische Protest

Inhalte

Als Ideal galt nicht der Dichter, der hoch gebildet war und in jeder Gattung schreiben konnte bzw. der seine moralischen Lehren zum Ausdruck brachte (poeta doctus). Gepriesen wurde vielmehr das Genie, das sich seine Regeln und Gesetze selbst schafft. Genialität wird dabei nicht wie heute als Höchstbegabung angesehen, sondern als Schöpferkraft. Das Genie ist von Gott begnadet und eifert Gott nach, ohne ihn nachzuahmen. Repräsentativ dafür ist Goethes Prometheus, der Rebell gegen die Götter, der sich seine Gesetze selbst gibt: „Hier sitz ich, forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei.
Der geniale Dichter ist einmalig, ist Schöpfer. Im Genie äußerte sich nach der Vorstellung des Sturm und Drang die schöpferische Kraft der göttlichen Natur. Die Natur wurde zum Inbegriff des Ursprünglichen, Elementaren, Göttlichen und war nicht mehr das vernünftig Geordnete wie in der Aufklärung. Der Naturmensch wird dem gebildeten Kulturmenschen als etwas Höheres gegenüber gestellt - eine Idee, die in den Vorstellungen von Jean-Jacques Rousseau wurzelt. Dieser vertrat die These, dass alles gut sei, was aus der Hand des Schöpfers komme, während es unter den Händen des Menschen verderbe.

Als wahrer Mensch wurde der "Kraftkerl", der Selbsthelfer angesehen (z.B. Goethes Götz von Berlichingen, Schillers Karl Moor - „O pfui über dieses schlappe Kastratenjahrhundert!"), bei dem Denken und Handeln eine Einheit bilden, der Herr über seine geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte ist, der sich selbst treu bleibt und sich nicht scheut, gegen eine ganze Welt anzutreten - selbst um den Preis des Untergangs.

Das Gefühl, das eigene Ich wurde Gegenstand der Betrachtung; die Subjektivität des Menschen sollte sich ausleben und in der Kunst ausdrücken. Dem Verstand werden im Sturm und Drang Herz, Gefühl, Ahnung und Trieb gegenüber gestellt. Der für uns heute manchmal kaum noch erträgliche Gefühlsüberschwang (wie er sich stellenweise im „Werther“ oder bei Schillers Amalia äußert) hat sine Wurzeln in der Bewegung der Empfindsamkeit.

Formen

Es ist verständlich, dass solch radikale Gedanken schlecht zu den traditionellen Formen passten. Man verurteilte daher die künstlerische Konvention, die Regelpoetiken des Barock und der Aufklärung.
Im Drama konnten die Ideen des Sturm und Drang am besten Gestalt werden. Als Hauptpersonen finden wir in ihnen Genies, Liebende, "Kraftkerle", die kompromisslos gegen die Wirklichkeit anrennen. Die Vorschriften der Regelpoetiken über die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, über die klare Trennung von Tragödie und Komödie, über den Aufbau eines Dramas werden über den Haufen geworfen. Man folgte stattdessen dem Vorbild Shakespeares, den schon Lessing gepriesen hatte. Man übernahm die markanten Charaktere, die turbulente Handlung, die Mischung von tragischen und komischen Elementen in ein und demselben Stück, den häufigen Wechsel von Ort und Zeit, die Massenszenen.

Zum Schlüsselroman des Sturm und Drang und zum einzigen großen Erfolg wurde Goethes "Die Leiden des jungen Werthers", ein "Kultbuch" des 18. Jh., das nicht nur eine Modewelle verursachte, sondern sogar als Nachahmungstaten einige Selbstmorde auslöste. In diesem Roman wird nicht ein junger Mann zu moralischen Einsichten geführt wie im Roman der Aufklärung (s. Wieland). Held des Romans ist vielmehr ein junger Mann, der eine verheiratete Frau liebt und an dieser Liebe fest hält. Als er sein Ziel nicht erreichen kann, begeht er Selbstmord.

Auf dem Gebiet der Lyrik markiert ebenfalls das Werk des jungen Goethe einen entscheidenden Wandel. Goethes frühe Jugendlyrik war noch dem Rokoko verhaftet. Rokokolyrik ist die Fortsetzung der Liebesdichtung des mittleren Stils (s. Barock). Die Liebe wird als scherzhaft erotisches Spiel dargestellt, in antikem Gewand, mit der Natur als Szenerie oder mitspielendem Partner.
Um 1770 beginnt Goethe Gedichte einer neuen Art zu schreiben, die so genannte "Erlebnislyrik". Den Gedichten liegen persönliche Erlebnisse zu Grunde, die im Gedicht zu allgemeinen Aussagen erweitert werden. Dies zeigt sich beispielhaft in dem Gedicht, das die neue Art zu dichten begründete, in Goethes "Willkommen und Abschied". Hier greift Goethe nicht mehr auf die traditionelle Liebeslyrik zurück, sondern sucht zu seiner Aussage die ihr angemessene, individuelle Form und Sprache. Die Liebe teilt sich nicht in ernste-seelische oder scherzhafte-sinnliche Elemente auf wie bei der traditionellen Liebesdichtung, sie wird vielmehr als etwas Totales verstanden, umfasst Sinne und Seele. Sie ist ein persönliches Erlebnis und eine überpersönliche Macht zugleich. Die Liebe, Natur, das Göttliche und der Mensch bilden in diesen Gedichten eine unlösbare Einheit, einen letztlich harmonischen Kosmos, der Liebesglück wie Liebesleid gleichermaßen umschließt, dem einzelnen Geborgenheit bietet und die Quelle allen Lebens und Schaffens ist.

Die Goethesche Art der Erlebnislyrik prägt die deutsche Natur- und Liebeslyrik bis weit ins 19. Jh. hinein und bestimmt noch heutzutage das landläufige Verständnis von Lyrik (Lyrik ist Ausdruck von Gefühlen).

4. Vorbilder und Anreger

Auf Shakespeare als Vorbild der Stürmer und Dränger wurde schon hingewiesen. Der Schweizer Johann Kaspar Lavater (1741-1801) entwickelte den Geniebegriff. Johann Gottfried Herder (1744-1803) machte auf die Volksdichtung aufmerksam und verdrängte damit das Ideal der antiken Kunst. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) war mit seiner gefühlsbetonten religiösen Dichtung "Der Messias" (1748) ein Idol des Sturm und Drang.

5. Werke und Autoren

Die Stürmer und Dränger kamen überwiegend aus dem Mittel- und Kleinbürgertum; ihre literarischen Betätigungen suchten sie materiell durch Hauslehrer- oder Pfarrstellen abzusichern, denn von der Literatur konnten sie nicht leben. Es fehlte ihnen nämlich die soziale Resonanz, ihre Bewegung blieb auf die Bekannten beschränkt, mit denen man sich zu Männerbünden zusammenschloss (z.B. Göttinger Hain). (Goethes erwähnter Roman blieb eine Ausnahme.) Hauptorte des Sturm und Drang waren Straßburg, Göttingen, Frankfurt am Main. Für viele Dichter, v.a. Goethe und Schiller, war der Sturm und Drang nur eine vorübergehende Phase ihres Lebens und Schaffens. Viele Autoren und Werke waren nur zu ihrer Zeit den Interessenten bekannt und sind heute weit gehend vergessen.

Zu den bedeutendsten Schriftstellern und Werken gehören:
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
•    Zum Schäkespears-Tag (Rede) 1771
•    Sesenheimer Lieder 1770/71
•    Götz von Berlichingen (Drama) 1773
•    Prometheus 1773/77, Ganymed 1774 (Gedichte)
•    Die Leiden des jungen Werthers (Roman) 1774
Friedrich Schiller (1759-1805)
•    Die Räuber 1781 (Drama)
•    Kabale und Liebe 1784 (Drama)
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1805)
•    Der Hofmeister 1774 (Drama)
•    Die Soldaten 1776 (Drama)
Göttinger Hain (Zeitschrift "Göttinger Musenalmanach"),
darunter:
•    Johann Heinrich Voss (1751-1826, Übersetzer von Homers "Odyssee" und "Ilias" in deutsche Hexameter)
•    Christoph Heinrich Hölty (1748-1776)