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Ich über mich | Olympia 1972 |
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Die Antwort
war war Schweigen. Als der Verein Deutsche Sprache (VDS) Ende August den
Preis für den „Sprachpanscher
des Eigentlich
schade. Denn nicht nur ist Günther Oettinger der erste Politiker, den
die
Tugendwächter vom VDS zum „Sprachpanscher des Jahres“ ausrufen. Seit
1997
schickte der VDS seine Einschreiben zumeist an Manager wie Bahn-Chef
Johannes
Ludewig, Telekom-Boss Ron Sommer oder Klaus Zumwinkel, den
Vorstandsvorsitzenden
der Post. Oettingers
preisgekrönter Satz ist auch beinahe visionär, denkt er. doch einen
Mechanismus
zu Ende, der die Sprache des Politischen hier zu Lande fest im Griff
hat. Da Tatsachen
nicht ausreichen, das Publikum anzuziehen, müssen wilde
Formulierungen her.
Und sind die Tatsachen eine Zumutung, werden sie in besser
verträgliche Hüllen
gewickelt. Als beredtes Vorbild dienen die sprachpanschenden Manager.
Warum
dann nicht gleich nur noch Englisch sprechen, etwa im Bundestag, der
ab dieser
Woche wieder in Plenum und Ausschüssen die Probleme des Landes
sprachlich
wälzt? „Uns
zu messen an dem, was im Wahlkampf gesagt wurde, ist unfair.“
Franz Müntefering, Vizekanzler So
beim Übel Massenarbeitslosigkeit. Damit wird jede Regierung nolens
volens
identifiziert. Konsequenterweise entfalten Redner mit Parteibüchern
jeglicher
Couleur die meiste Phantasie bei der Kreation einer Sprachwelt, die
nichts anderes
im Schilde führt, als die üble Wirklichkeit vor dem Wähler zu
kaschieren. Kanzlerin
Angela Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering haben jüngst bei der
Vorstellung ihrer „Vorhabenplanung“ erneut die Linie vorgegeben
und ordentlich Sprach-Blasen abgelassen. Konfrontiert mit dem
absoluten
Tiefpunkt ihrer persönlichen wie der Koalitions-Umfragewerte,
zwitscherte die
Kanzlerin: „Wir
haben sehr offen darüber gesprochen;
dass bei all den günstigen Daten die Zustimmung der Bürgerinnen und
Bürger
noch nicht da ist, dass Zweifel bestehen, dass Fragen gestellt werden
und dass ein
großes Maß an Skepsis da ist.“ Zukünftig aber - „Die Richtung stimmt in
unserer
Regierungsarbeit!“ werde man arbeiten: „Wir als Regierung verstehen
uns als
treibende Kraft, die die Dinge in die Hand nehmen will.“ Ganz
euphorisch beteuerte darauf Sprachapparatschik Müntefering: „Selbstbewusstsein ist
möglich und angebracht!“ Aber: „Die Regierung zu messen an dem, was im
Wahlkampf
gesagt worden ist, ist unfair.“ Wohl denn: Take ist easy! Ins
allseitig Englische driften vor allem die Haushalts- und
Finanzexperten der
Koalition. Gerne sprechen sie von „Downsizing“ und „Case-Management“,
und auch
das euphemistische „Outsourcing“, was oft den Abbau von Arbeitsplätzen
verhüllt, sowie die „Lean Production“ (dito) kommen in diesem
Double-Speak nie
zu kurz. Die Berliner Politikexperten scheinen ihren Oettinger längst
verinnerlicht zu haben. Es
ginge zu weit, in dieser Welt des verklärenden Jargons und
sinnentkernter
Phrasen alle jene kleinen Wortschweinereien aufzuführen, die immer nur
das eine
wollen: hübsche Begriffe für hässliche Realitäten finden. Ein paar
kleinere
Schmankerln dennoch: „stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse“ bedeuten
Lohndrückerei, „zeitgemäße Aufsichtsratsvergütungen“ meinen
Gehaltseskalation
für Führungskräfte, „freisetzen“ heißt entlassen. Begriffe, die für das Gegenteil
dessen stehen, das sie eigentlich benennen — die aber netter klingen. Würde nicht jeder
von uns gerne „freigesetzt“, ahnte er nicht, dass er so in die absolute
Unfreiheit der Arbeitslosigkeit gesperrt würde? „Set me free!“ und
„Born to be
free!“ Wie naiv klingen da die Parolen der „freigesetzten“ Beatnicks
der
Flowerpower-Generation, ja der ganzen Pop-Hemisphäre. Tempi passati. Der
Amerikanistik-Professor Gert Reithel aus München: „Man müsse so einfach
und
direkt schreiben, wie ein Stein zu Boden fällt, sagte einst Thoreau.
Das wäre
heute ein Rezept für Erfolglosigkeit und wirtschaftlichen Ruin. Der
Stein darf
nicht auftreffen: Oder warum sonst schwebt einem Automobilhersteller
eine Modellreihe
im oberen Bereich der unteren Mittelklasse vor?“ Tatsächlich
bezeichnet schon der Wandel der politischen Bedeutung von „freisetzen“,
wie
sich unsere Welt falsch: wie sich unsere Bilder von der Welt -
verändern. Im
Zentrum aller Versuche, sich der Welt per Sprachbilder zu bemächtigen,
steht
seit jeher der Bedeutungswandel des Wortes „Reform“. Denn Reformen
können
ohne mühselige Vermittlungsarbeit nicht an den Mann gebracht werden.
Deswegen
geht die Politik gerade hier „ökonomisch mit der Wahrheit um“, was
nichts anderes
heißt als: lügen. Noch nicht
gefesselt vom ökonomischen Abstieg, versuchte die Gesellschaft
zumindest mehr
libertäre Demokratie und mehr sittliche Freiheit. Doch schon damals
tobte
hinter der bunten Kulisse der Horizonterweiterung der Krieg der
Weltanschauungen,
der sich prompt in den Begrifflichkeiten der Politik niederschlagen
sollte. Es
war Kurt Biedenkopf, der 1973 auf dem Bundesparteitag seiner CDU nach
verlorener
Wahlschlacht gegen Willy Brandts SPD das Gefecht der Begriffe
eröffnete: „Was
sich heute in unserem Lande vollzieht, ist eine Revolution neuer Art.
Revolutionen
finden heute auf andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierungen
werden
die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert.“ Durch die SPD
würden, so der damalige Generalsekretär der Konservativen, „die
Begriffe
besetzt, um der CDU den Zugang zu den politischen Schlüsselbegriffen zu
versperren.“ Höhepunkt der apokalyptischen Vision des Kurt Biedenkopf:
„Die
SPD versucht systematisch, Sprachbarrieren gegen die Kommunikation der
CDU mit
der Bevölkerung zu errichten. Sie schließt so einen möglichen Wechsel
des
Wählers zur politischen ‚Alternative CDU sprachlich aus.“ Als gebildeter
Professor wusste Biedenkopf, dass er nur in den Polit-Speak
übersetzte, was
der italienische Kommunist Antonio Gramsci ein halbes Jahrhundert
vorher in
Kerkerhaft niedergeschrieben hatte: Die politische Macht müsse nicht über
politische Taten, sondern über „kulturelle Hegemonie“ erkämpft
werden. Erster
Schritt: der Bourgeoisie die Begriffe klauen und mit neuen, eigenen
Inhalten
füllen. Bemerkenswert bei
Biedenkopfs Hegemonieklage war vor allem der kategorische Wortgebrauch:
„systematisch“
und „schließt aus.“ Er weist der Sprache radikalste Macht zu: als
Bedeutungsentferner
und Blockademacht gegenüber dem Gegner. Verwöhnt von einer damals
vielen Konservativen
schon naturgegeben scheinenden Pacht auf die Macht, fanden die
Christdemokraten großen Gefallen an Biedenkopfs Tiraden gegen die
roten
Wahlgewinnler.
Heiner Geißler,
Ex-CDU-Generalsekretär
Geißlers Konzept als Chef-Programmatiker der CDU: „Allemal
gilt, dass, wer Begriffe und Gedanken bestimmt, auch Macht über die
Menschen
hat. Denn nicht die Taten sind es, die die Menschen bewegen, sondern
die Worte
über die Taten.“ Hegel hätte das nicht klarer ausdrücken können. Die
Worte des
deutschen Philosophen sind plötzlich Leitmotiv der deutschen Politik.
Naivität
beim manipulativen Umgang mit Begriffen konnte jedenfalls fortan
keiner mehr
vortäuschen. Das gilt bis heute. In der Politik
forderte diese Erkenntnis fortan allzu häufig: Worte statt Taten!
Helmut Kohl
erkannte das früh in seiner Kärriere und schalt die „Flucht in
politische
Sprachspiele“. Wenn er selber zum Sprachhammergriff, hatte er fast
blindwütig
stets die Apo im Sinn, wenn er den Umgang der Fälscherwerkstatt
Politik mit
Begriffen schalt: „Da werden Begriffe besetzt, umgedeutet, instruiert,
aufgebläht, demontiert. Der Kampf der Worte gerät zum Machtkampf.“ Kohl selbst, der
gern den Naiven gab, war selbst kein Kind von sprachpanschender
Traurigkeit.
Und tat so, als wäre das Aufblähen und Verblenden von Tatsachen nicht
das
Hauptinstrument der Politik. Mit kalkulierendem Zynismus sprach er
beispielsweise
- wie vor ihm Helmut Schmidt, Rudolf Augstein und die „Bild“-Zeitung -
stets
von „Anarchisten“, wenn er die Terroristen der „Baader-Meinhof-Bande“
oder
wechselweise die maoistische „Rote-Armee-Fraktion“ und polizeilich
gesuchte
Kriminelle der KPD/ML ins Visier nahm. Drei Fliegen mit einem Wort. Der Kanzler, selbst ein großer
Blähmeister von Begriffen (,‚geistig-moralische Wende“), hat eine neue
Phase
des Kriegs der Sprachknöpfe eingeleitet: die permanente Revolution der
Worte
an Stelle des Machtkampfs, die Herrschaft der Sprechblasen über
politische
Entscheidungen. Während kaum einer
Regierungszeit würde so viel leeres Stroh gedroschen wie in den
letzten
Kohl-Jahren, als die tatsächliche Macht längst den Worten
davongelaufen, zu Rot-Grün
übergelaufen war. Entsprechend hohl klang damals - in trauter
Kollaboration
mit Norbert Blüm - Kohls gedrechselte Rhetorik wie „Die Renten sind
sicher!“ In der
Schröder-Zeit tauchten in der politisch korrekten Schaumsprache
Euphemismen
wie Vorwärtsverteidigung, Menschenpark, Gesundschrumpfung oder
Geringverdiener
auf. Krisen-Politik und Krisen-Wirtschaft sowie heikle neue
Technologien
hinterließen deutliche Spuren in den Versuchen der Politik, mit diesen
Entwicklungen so zu Rande zu kommen, dass sie dem grübelnden Bürger
zumutbar
erscheinen sollten. Folglich mussten die sich durch einen
unverdaulichen Mix
aus McKinsey-Slang, Manager-Lingo und 68er-Jargon beißen. Dieser andauernde Double-Speak
war und ist
Politik, er ist Hegemonialkampf in Gramscis Sinn. In seinem Roman „1984“,
geschrieben 1946/47, prägte George Orwell dafür die Bezeichnung
„newspeak“:
„Solche Phraseologie ist notwendig, wenn man Dinge benennen möchte,
ohne die
dazugehörigen mentalen Bilder von ihnen hervorrufen zu wollen.“
Frage: Steckt
hinter dieser Umdeutung der tätte glatt
mit Ja geantwortet. Worte sind wertegeladene Träger ron
Realitäten, die sie dadurch veränlern. Sie erschaffen neue
Wirklich:eiten -
Worte sind Politik. Als Spie;elbild gesellschaftlicher Entwickungen
ist das
konsequent, sowie die coole Alltagssprache der Kids, aber tuch die der
Baseball-Kappen tragenlen Väter die Eingewöhnung des Amerikanischen
versinnbildlichen. Das Systematische daran ist nicht gesteuert,
hat aber System - und ist ein Zufall.
Johann Wolfgang
von Goethe
Bezeichnenderweise kamen in den
vergangenen Jahren die von einer Jury erkorenen „Unwörter des Jahres“
vornehmlich aus dem Reich der Wirtschaft: Smartsourcing,
„unternehmerische
Hygiene!‘, „Entlassungsproduktivität“ und „beschäftigungsorientierte
Entlassungspolitik“ sind nur eine Meine Auswahl jener
schön-schrecklichen
Euphemismen, mit denen die Wirtschaft und Politik die brutalen Seiten
des
Konkurrenzkampfes verschleiern und so verhüllen, was sie selber
anrichten. Man stelle sich vor, alle Amerikanismen
würden aus der Sprache getilgt, und die Politiker offenbaren, was sie
meinen!
Vizekanzler Müntefering pirscht sich schon mal an die
Verständnisklippe heran
- so letzte Woche: „Wenn sich Spielräume ergeben, dann geben wir das
den Menschen
in Form geringerer Zinszahlungen in der Zukunft zurück.“ Ein einziges
Ob-la-di, ob-la-da. Doch wer außer Handelsblatt-Lesern
weiß schon, was hinter Steuersubstrat, Kooperationsverbot und
Grandfathering
steckt? Welcher Journalist, der nicht Fachgelehrter in Sachen Steuer
und
Gesundheit ist, kann das treffsicher dem Publikum übersetzen?
Schwammigkeit
ist der Preis, wenn berufliche Vermittler zu Übersetzern avancieren.
Genau deshalb
aber, weil sie Eindeutigkeit scheuen, weil sie nicht festgelegt werden
wollen,
wählen Politiker diesen vieldeutigen Slang. Festnageln gilt nicht! Wen stört noch die Invasion widersinniger
Euphemismen wie „sozial Schwache", wo doch „Arme“ einfacher, genauer,
treffender und ehrlicher wäre? Hier offenbart sich aber auch ein
gebrochenes
Versprechen der deutschen Politik, die vor 15 Jahren aus dem „Raumschiff“
Bonn
auszog, um in der Hauptstadt eine neue „Bürgernähe“ zu pflegen. Das
Gegenteil,
die fortgesetzte Raumpatrouille im Orbit sprachlicher Abstraktion, ist
der Fall
und schafft eine weit stärkere Distanzierung - durch
den politischen Lingo des Nixverstans. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn,
seit langem in Sorge über die wachsende Distanz zwischen Politik und
Bürger,
sagt es so: „Die Terminologie, der sich Wirtschaft und Politik
bedienen,
stammt immer seltener aus der Alltagssprache. Politiker bedienen sich
einer
abstrakten Terminologie, um damit eine oft nur scheinbar vorhandene
Kompetenz
auszudrücken. Sie kokettieren mit Kompetenz.“ Und umgekehrt „spiegelt
die
Sprache der Politiker oft den Umgang, den sie pflegen, wider. Man kann
an
unverständlicher Sprache, voll gespickt mit Fachterminologie, erkennen,
dass
sie nur noch wenig mit der Alltagswelt der Menschen zu tun haben und
stattdessen zunehmend in Fachforen, Fachseminaren und der Wissenschaft
leben.“ Wie „strange“ klingen da heute
die Worte Goethes: „Haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die
sichere
Pforte zum Tempel der Gewissheit ein.“ Doch angesichts des
Double-Speaks hat
Goethe samt aller Gewissheiten abgedankt. Wer heute seinem Rat folgt,
ist
verraten und verkauft. Gezielte Mehrdeutigkeit und Verschwommenheit
kennzeichnen die Sprache in der Politik. Dadurch aber, so Fritz Kuhn,
„untergräbt die Politik ihre Glaubwürdigkeit“. |