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Codepages“ – oder die Mär von der Unübersetzbarkeit englischer Internet-Begriffe

Wenn man mit den Befürwortern oder auch nur gedankenlosen Nachplapperern der Anglifizierung (das klingt wie „infizieren“, und so soll es auch klingen…) diskutiert, wird irgendwann unweigerlich das Totschlag-Argument kommen: ‚Ich muss solche Begriffe doch gebrauchen – es gibt keine anderen dafür…’ 

Ja sind wir denn blöder, unflexibler, ideenloser, träger als die Sprecher der anderen europäischen Sprachen? Oder sind wir einfach nur peinlicher? 

In Windows XP gibt es ein kleines Programm, das die jeweilige alte Landeswährung der Länder der Eurozone automatisch in Euro umwandelt. Zur Erläuterung des Programms dient eine kleine Textdatei in unterschiedlichen europäischen Sprachen. Titel dieser Datei:

  • lisezmoi.txt (lisez-moi, französisch)
  • leiame.txt (leia-me, portugiesisch
  • leggeme.txt (italienisch)
  • leesmij.txt (lees mij, niederländisch, flämisch)
  • leame (lea me, spanisch)
  • lueminut (lue minut (finnisch)
  • readme.txt (read me, englisch - für Irland, denn Großbritannien ist bekanntlich nicht Eurozone…)

Und wo bleibt die deutsche Fassung? Die zahlenmäßig weitaus bedeutendste Sprechergruppe in Euroland fehlt? Nein – nicht ganz – die „deutsche“ Fassung findet sich selbstverständlich (?) unter dem schönen deutschen Titel „readme-de.txt“. Bemerkenswert ist vor allem dieses angehängte –de – es macht deutlich, dass es zwei englische Versionen gibt: eine für Anglophone und eine für – ja, wie soll man die Deutschen nun linguistisch bezeichnen? 
Jedenfalls: Glückwunsch, Deutschland! (Oder besser: Cheers, Germany!) – alle anderen Euroländer sind voll von vor sich hin dümpelnden Provinzidioten – da wagen es tatsächlich die paar Niederländer und die paar Finnen, diese PISA-Streber, sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen! Finnisch!! Wie peinlich! Das versteht doch kein Mensch! Wir dagegen dürfen den Erfindern des Euro-Umwandlungsprogramms sehr, sehr dankbar sein für die Umsetzung der Erkenntnis, dass wir Deutschen unsere von läppischen 88 Millionen Eurolandbewohnern (noch manchmal) gesprochene Muttersprache lieber schamhaft verstecken und weltoffen, souverän und modern Denglisch reden... 
Ein Beispiel? Im „deutschen“ – und deshalb natürlich auch im englischen - Text ist von einem ‚Patch’ die Rede, das die Franzosen ‚un correctif’, die Spanier ‚una revision’ nennen; die Finnen verwenden ebenfalls ein Wort ihrer unsäglichen Sprache dafür. Eingeknickt sind allerdings schon die Portugiesen (um patch - männlich), die Niederländer (een patch, was männlich, weiblich oder sächlich sein kann ) und erstaunlicher Weise auch die Italiener, die das Wort allerdings kühn als weiblich erkannt haben (una patch) . 

Dagegen ist in ganz Euroland das Wort codepage in die jeweilige Landessprache übersetzt worden:

  • pages de code (frz.)
  • paginas de codigo (port.)
  • tabelle codici (ital.)
  • codetabellen (niederl.)
  • paginas de  codigo  ( span .) 
  • koodisivuominaisuuksiin (finn.)

In ganz Euroland? Nein, ein tapferes kleines Volk in Mitteleuropa trotzt allen nationalistischen Versuchungen und benennt das Zeug, wie es sich gehört, mit dem englischen Begriff  codepages.
Kommentar? Überflüssig - die Frage von oben beantwortet sich von selbst: Wir sind peinlich! 
 
Detlev Mahnert, 07.01.03

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